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„Schulden machen die Menschen fertig“

Cornelia Landow hilft in Freital Menschen aus dem Minus. Es gibt für jedes Problem eine Lösung, sagt sie.

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© Oberthür

Von Annett Heyse

Freital/ Dippoldiswalde. Nur ein nüchternes Schild an der Tür weist auf die Schuldnerberatung der Bürgerhilfe Sachsen in Freital hin. Hier arbeitet Cornelia Landow – für viele Menschen, deren Leben aus dem Gleichgewicht geraten ist, ist sie der Rettungsanker. Denn wer zu ihr kommt, hat massive finanzielle Probleme. Die Quote der überschuldeten Haushalte im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge betrug 2017 knapp über acht Prozent, Tendenz steigend. Wie Menschen in die Schuldenfalle geraten, was es mit ihnen macht und wie sie aus der Abwärtsspirale herauskommen, erzählt Cornelia Landow im Interview.

Frau Landow, die Wirtschaft brummt, überall werden Arbeitskräfte gesucht, die Löhne steigen und trotzdem verschulden sich immer mehr Menschen – wie passt das zusammen?

Auf den ersten Blick überhaupt nicht. Das Problem ist, dass tatsächlich viele Jobs entstanden sind, allerdings häufig im Niedriglohnsektor oder auf geringfügiger Basis. Die Menschen gehen zwar arbeiten, verdienen aber nicht viel und müssen dann häufig noch Unterstützung beim Staat beantragen. Dies betrifft eben auch oft Menschen, die keine abgeschlossene Berufsausbildung haben oder bereits langjährig arbeitslos gemeldet und aus ihrem erlernten Beruf lange raus sind. Bei diesen Einkommenssituationen kann dann schon eine notwendige Autoreparatur oder eine höhere Betriebskostennachzahlung zu einem ernsten Problem werden, welches zu einer Verschuldung führen kann.

Wie verschulden sich Menschen, was sind die Ursachen?

Schulden entstehen total unterschiedlich. Die Masse stellen keinesfalls die Familien, die mit Geld nicht umgehen können. Die gibt es auch, vor allem junge Leute, die die erste Wohnung, das erste Lehrlingsgeld haben und denken, jetzt geht es los. Auch Konsumschulden rangieren weiter hinten. Hauptursachen sind Arbeitslosigkeit, Trennung oder Scheidung vom Partner. Wenn von einem auf den anderen Tag ein Teil des Haushaltseinkommens wegbricht, hat das gravierende Folgen. Nicht jeder hat genügend Rücklagen, um das auffangen zu können. Und selbst wenn, sind die Rücklagen irgendwann aufgebraucht. Dann entstehen Löcher. Kredite können nicht mehr bedient, die Stromrechnung nicht mehr bezahlt werden. Viele Mütter oder Väter können dann entstehende Unterhaltszahlungen an den Ex-Partner für die Kinder nicht stemmen oder andere Rechnungen nicht mehr zahlen. Und mit jedem Monat wird das Problem schlimmer.

Wie groß sind die Schulden, wenn die Menschen zu Ihnen kommen?

Das ist ganz unterschiedlich – von einigen hundert Euro bis zu sechsstelligen Summen. Es trifft ja nicht nur Empfänger von Sozialleistungen, Gering- oder Durchschnittsverdiener, sondern auch Kleinunternehmer, die mit ihrer Firma in Schieflage geraten sind. Leider suchen die Menschen oftmals viel zu spät Hilfe. Sie schlagen sich Monate und Jahre mit ihren Schulden irgendwie durch, bis es einfach nicht mehr geht und der Druck zu hoch wird. Dabei gibt es für jedes Problem immer eine Lösung. Je eher man sich Hilfe sucht, desto eher lässt sich das Schuldenproblem lösen, beziehungsweise es wird gar nicht erst zu einer langjährigen Schwierigkeit.

Was macht das mit den Menschen, wenn sie sich verschulden?

Fast jeder zweite Ratsuchende berichtet von massiven psychischen Problemen. Er ist entweder schon in psychologischer Beratung oder aufgrund dieser Situation bereits seit langem krankgeschrieben. Die Menschen fühlen sich überfordert, können nicht mehr schlafen, sorgen sich ständig, fühlen sich schuldig, minderwertig, sind müde, antriebslos und unglücklich. Freizeitaktivitäten oder gar Urlaub sind nicht mehr drin. Auch die Kinder oder Partner leiden unter dieser Situation. Gerade Kinder, welche keine Markenklamotten, tolle Handys und so weiter besitzen, können in der Schule nicht mithalten und werden teilweise abgestempelt. Die täglich Angst, den Briefkasten aufzumachen und neue Rechnungen oder Mahnungen zu erhalten, ist ein ständiger Begleiter. Oft werden dann Briefe gar nicht mehr aufgemacht, im schlechtesten Fall sogar vernichtet.

Wie können Sie helfen?

Die ersten Treffen bezeichne ich als Aufwärmphase. Es geht zunächst darum, sich kennenzulernen, die Familiensituation sowie die Schuldsituation zu erfassen. Dann beginnt die eigentliche Arbeit. Es werden die vorhandenen Unterlagen durchgesehen und nach Priorität bewertet. Das ist mitunter eine ganz schöne Puzzlearbeit, weil die Betroffenen oft sehr viele Gläubigerforderungen haben. Miet-, Energie- und Strafsachen sind mitunter taggleich zu bearbeiten, um weiterführende Konsequenzen wie Wohnungslosigkeit, Abstellen des Stromes oder eine Haft zu verhindern. Zudem werden ein Haushaltsplan aufgestellt, unnötige Ausgaben und Verträge beendet und geschaut, welche finanziellen Möglichkeiten der Schuldrückzahlung sich ergeben. Die Einnahmen und Ausgaben müssen sich dann zumindest so einpegeln, dass es nicht zu weiteren Schulden kommt. Wir prüfen außerdem, ob Anträge, zum Beispiel auf Wohngeld oder auch für das Bildungs- und Teilhabepaket, möglich sind. Auf alle Fälle muss festgelegt werden, welche Ausgaben dringend sind und Vorrang haben. Wir setzen uns auch mit den Gläubigern in Verbindung, um Forderungen erst einmal ruhend zu stellen, sie auf Rechtmäßigkeit zu überprüfen und gemeinsam mit dem Ratsuchenden und dem Gläubiger nach Lösungswegen zu suchen.

Und die Rückzahlung der Schulden beginnt dann im nächsten Schritt?

Ja. Wichtig ist zunächst ein ausgeglichener Haushalt. Die Menschen müssen erst mal wieder ein Gefühl dafür bekommen, wie es ist, am Monatsende kein Minus zu haben. Das ist für die Betroffenen, die mitunter seit Jahren die Schulden vor sich herschieben, ein wichtiges Erfolgserlebnis. Und wenn sich dann ein Plus auf dem Konto einstellt, kann man auch mit dem Abbau der Schulden beginnen. Dabei muss jedem klar sein, dass über Jahre aufgehäufte Schuldenberge nicht innerhalb wenige Monate verschwinden. Da braucht es Durchhaltevermögen und Disziplin.

Und Sie begleiten die Menschen bis zum letzten zurückgezahlten Cent?

Wenn das gewünscht ist, sehr gerne. Uns ist auch wichtig, dass es nicht zu Rückfällen kommt und die Betroffenen das Ziel nicht wieder aus den Augen verlieren. Das Schönste für mich ist, wenn die Menschen wieder auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen und keine Sorge mehr wegen möglicher Zwangsvollstreckungen haben müssen.

Bürgerhilfe Sachsen e.V., Schuldner- und Insolvenzberatung Freital, Dresdner Str. 162, 0351 6521385, [email protected]; www.buergerhilfe-sachsen.de

AWO Schuldner- und Insolvenzberatung, Maxim-Gorki-Straße 15, Pirna 03501 522154, E-Mail: [email protected]; Erstberatungstermine nach Vereinbarung; ohne Termin: Donnerstag 9-12 und 13-16 Uhr;