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So viele Wähler der AfD stimmten für Raschke

Mathematiker der TU Dresden haben erneut die Wählerwanderung bei der letzten OB-Wahl in Meißen analysiert.

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Handschlag nach der Wahl: Frank Richter (re.) gratulierte Olaf Raschke kurz nach der Bekanntgabe des Ergebnisses des zweiten Wahlganges.
Handschlag nach der Wahl: Frank Richter (re.) gratulierte Olaf Raschke kurz nach der Bekanntgabe des Ergebnisses des zweiten Wahlganges. © Archiv/Claudia Hübschmann

Meißen. Nach der Wiederwahl von Amtsinhaber Olaf Raschke (parteilos) als Meißner Oberbürgermeister Ende September fallen folgenschwere Worte. Sein Herausforderer, der parteilose Bürgerrechtler Frank Richter, spricht von einem Oberbürgermeister von Gnaden der AfD. In überregionalen Medien wird von einer Generalprobe für ein Bündnis zwischen CDU und AfD in Sachsen geschrieben.

Dabei ignorieren die Autoren, dass Raschke nicht der CDU angehört, sondern von ihrem Meißner Ortsverband unterstützt wurde. Daneben sprachen sich auch Stadträte der Unabhängigen Liste Meißen sowie der Freien Wähler und viele parteilose Prominente für den langjährigen Meißner Rathauschef aus.

Der Meißner Mathe-Doktor Norbert Herrmann analysierte für die SZ die Wählerwanderung. Er setzte die absoluten Stimmgewinne des AfD-Kandidaten Joachim Keilers in den 18 direkten Wahlbezirken mit den Zuwächsen der beiden Hauptkonkurrenten Raschke und Richter im zweiten Wahlgang ins Verhältnis. Das Ergebnis: Wo Keiler stark abschnitt, tat dies zwei Wochen später auch Raschke. Wo der AfD-Kandidat schwächelte, erging es dem Meißner Rathauschef mindestens ähnlich.

Im Anschluss kritisierten Raschke-Unterstützer und auch FDP-Herausforderer Martin Bahrmann, dass Herrmanns Analyse nicht neutral sei, da er sich für Richter als neuen Oberbürgermeister ausgesprochen hatte. Die SZ hat diese Vorwürfe aufgegriffen und die Professoren René Schilling und Martin Keller-Ressel am Institut für Mathematische Stochastik der Technischen Universität Dresden um eine erneute Analyse gebeten.

Herr Schilling, welche Daten werden in der Regel für die Berechnung von Wählerwanderungen benutzt?

Üblicherweise bilden die bestätigten Wahlergebnisse eine Grundlage. Diese Basis liegt in Meißen vor, auch nach Wahlbezirken aufgeschlüsselt. Dazu kommen Umfragen oder sogenannte Nachwahl-Befragungen, bei denen die Wähler nach dem Verlassen des Wahllokals befragt werden, wie sie sich kurz zuvor entschieden haben und, wie sie bei der vorangegangenen Wahl abgestimmt haben. Über solche Daten verfügen wir in Meißen allerdings nicht. Zudem gibt es keine belastbaren Vorwahl-Umfragen.

Herr Schilling, jetzt gibt es eine, mit heißer Nadel unmittelbar nach der Wahl gestrickte Analyse, die aussagt, dass Amtsinhaber Olaf Raschke im zweiten Wahlgang überall dort Stärke bewies, wo auch sein AfD-Herausforderer im ersten Wahlgang sehr viele Stimmen gewinnen konnte. Wie bewerten sie diese Rechnung?

Der Ansatz ist völlig legitim und unter diesen Voraussetzungen korrekt durchgerechnet. Es sind dabei verschiedene Prämissen nötig: So wird zum Beispiel von einer Lagertreue ausgegangen. Das heißt, dass ein Wähler, der zuerst für Raschke oder Richter gestimmt hat, sich im zweiten Wahlgang in der Regel nicht dramatisch umorientiert, und dass sich vor allem die bisherigen Keiler-Wähler für einen neuen Kandidaten entscheiden müssen. Die Frage ist doch, ob das neue Wahlverhalten der Keiler-Wähler eine eindeutige Tendenz aufweist. Allerdings könnte – und zwar mit rund 15 Prozent Wahrscheinlichkeit – das vorliegende Endergebnis dadurch zustande gekommen sein, dass sich die ehemaligen Wähler von Joachim Keiler zufällig für Richter oder Raschke entschieden haben. Das ist vergleichsweise hoch. In der Statistik wird deshalb von einem Ergebnis gesprochen, welches nicht „signifikant“ ist, weil das Restrisiko für eine echt zufällige Wahlentscheidung mit 15 Prozent einfach zu hoch ausfällt.

Professor René Schilling vom Institut für Mathematische Stochastik der TU.
Professor René Schilling vom Institut für Mathematische Stochastik der TU. © Robert Lohse

Herr Keller-Ressel, welchen Ansatz haben Sie für Ihre Rechnung gewählt?

Unser Anliegen war es, so wenig Voraussetzungen wie möglich zu machen. Vereinfacht formuliert sind wir davon ausgegangen, dass jeder Wähler zu jedem Kandidaten wandern könnte. Wir haben also jegliches Stimmverhalten erlaubt. Im Anschluss ging es darum, herauszufinden, welches mathematische Modell die realen Wahlergebnisse am besten widerspiegelt.

Professor Martin Keller-Ressel ist am gleichen Institut tätig. 
Professor Martin Keller-Ressel ist am gleichen Institut tätig.  © Robert Lohse

Wie fiel das Resultat aus?

Vorab gesagt: Die statistische Schwankungsbreite liegt bei 165 Stimmen. Das bedeutet: Erst über dieser Stimmzahl können wir von wirklich aussagekräftigen Daten sprechen. Interessant an dem Ergebnis ist, dass trotz des kurzen zeitlichen Abstands zwischen den Wahlgängen eine gewisse Wechselbereitschaft der Wähler – auch zu oder aus dem Lager der Nichtwähler – erkennbar ist. Der größte Wählerstrom beruht auf 1 266 Stimmen, die im zweiten Wahlgang – mit einer Schwankungsbreite von 165 Stimmen – von Joachim Keiler zu Olaf Raschke gegangen sein dürften.

Das Gespräch führte Peter Anderson.