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Dresdner entwickeln Therapie mit Kokosnüssen

Es gibt immer mehr Menschen mit der Diagnose Parkinson. An einer Dresdner Hochschule entsteht eine unterhaltsame Art, ihnen zu helfen. 

Von Jana Mundus
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Was im Hintergrund an eine Stabheuschrecke erinnert, ist ein Abbild der Bewegungen von Professor Markus Wacker, der Therapie-Übungen bei Parkinson erforscht.
Was im Hintergrund an eine Stabheuschrecke erinnert, ist ein Abbild der Bewegungen von Professor Markus Wacker, der Therapie-Übungen bei Parkinson erforscht. © Marion Doering

Die Kokosnuss hängt hoch. Zu hoch? Der ältere Mann konzentriert sich, er will sie pflücken. Sein rechter Arm bewegt sich dafür nach oben. Er muss sich lang machen. Mit den Fingerspitzen erhascht er die Kokosnuss. Als Belohnung wartet allerdings keine Milch aus der Nuss auf ihn. Der Mann sammelt Punkte in einem Spiel. Er hat Parkinson. Das Kokosnuss-Spiel auf dem Computer ist der Prototyp eines neuen Therapiewerkzeugs, dessen Grundlagen derzeit an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden (HTW) entwickelt werden. Wenn alles klappt, soll es schon bald Betroffenen der Erkrankung helfen, wieder beweglicher zu werden. Die gehen dann auch auf Sternenjagd.

Eigentlich ist Markus Wacker gar kein Mediziner. Er hat auch keine Ausbildung als Physiotherapeut. Wacker ist Professor für Computergrafik an der HTW Dresden. Mit dem Wissen aus der Informatik wollen er und seine Mitarbeiter auch der Medizin helfen. „Wir wollen nicht den Arzt ersetzen“, sagt er. „Es geht darum, ihn zu unterstützen.“ Mit einer Analysemöglichkeit für Parkinson-Erkrankungen etwa.

Noch bis April 2019 läuft dazu ein Forschungsprojekt, das ein neuartiges System für die Aufzeichnung der Bewegungsabläufe Erkrankter als Ziel hat. Ausgangspunkt dafür sind therapeutische Übungen, für Parkinson-Betroffene. Mit einer Kamera, die mit dem Computer verbunden ist, werden die Übungen aufgezeichnet. Im Nachgang werden sie mit Hilfe des Rechners ausgewertet. So werden Fehler sichtbar. Steht der Fuß beim Aufstehen vom Stuhl etwa zu weit vorn? Mogelt der Patient und stützt die Hände auf die Armlehnen auf? Oder neigt sich seine Wirbelsäule bereits zu sehr zur Seite?

Viele Bewegungsabläufe bereiten Parkinson-Patienten Mühe. Fast 300 000 Deutsche sind von der Krankheit betroffen. Bei ihnen sterben im Mittelhirn Nervenzellen ab, die wichtig für die Bewegung sind. Dort wird der Botenstoff Dopamin gebildet, der auch für die Motivation und wichtige Hirnprozesse notwendig ist. Ist ein Großteil der Nervenzellen verloren, zeigen sich die Symptome. Arme und Beine beginnen im Ruhezustand zu zittern, Muskeln versteifen, das Laufen fällt schwer, die Betroffenen stürzen leicht. Neueste Prognosen zeichnen ein bedenkliches Bild. In den vergangenen 25 Jahren hat sich die Zahl der Erkrankten weltweit verdoppelt. Der US-amerikanische Neurologe Ray Dorsey prognostiziert für das Jahr 2040 sogar 14 Millionen Parkinson-Patienten weltweit.

Die Dame in Rot ist die Trainerin in der Testversion des neuen Spiels. Sie erklärt die Übungen. Ziel: durch eigene Bewegungen vor dem Computer, im Spiel die Kokosnüsse zu treffen. 
Die Dame in Rot ist die Trainerin in der Testversion des neuen Spiels. Sie erklärt die Übungen. Ziel: durch eigene Bewegungen vor dem Computer, im Spiel die Kokosnüsse zu treffen.  © Fakt Software GmbH

Die Dresdner Wissenschaftler und ihre Partner wollen die Krankheit verstehen helfen. Sie kooperieren dafür neben der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Leipzig auch mit dem Zentrum zur Erforschung der Stütz- und Bewegungsorgane an der dortigen Medizinischen Fakultät. Mit dem Klinikum Altenburger Land und der Klinik am Tharandter Wald arbeiten sie ebenfalls eng zusammen. Dort probieren Patienten, Ärzte und Therapeuten das System schon aus. Neben dem Analysewerkzeug entsteht auch die Variante zum Üben für daheim.

Um sie zu nutzen, braucht es einen Computer und ein Gerät, das Bewegungen erkennt, zum Beispiel eine moderne Spielkonsole. Die Leipziger Firma Fakt Software GmbH arbeitet im Projekt an einem Spiel. Auf unterhaltsame Weise animiert es die Parkinson-Patienten zum Bewegen. Sie pflücken Kokosnüsse vom Baum, indem sie ihren Arm ausstrecken. Oder sie fangen Sterne ein, wenn sie von einem Stuhl aufstehen und die herumfliegenden Himmelsobjekte mit dem Kopf berühren. „Wäre doch toll, wenn später Enkel und Opa das Spiel gemeinsam spielen“, sagt Markus Wacker. Dafür ist bereits vorgesehen, dass die Software die körperlichen Möglichkeiten der Nutzer erkennt und die Aufgaben anpasst. „Damit es eben auch fair bleibt.“

Damit die Neuentwicklung all das kann, muss sie lernen. Sie muss wissen, wie die Übungen korrekt oder falsch aussehen. Das geht nur mit Hilfe von Testpersonen. Nicht nur Patienten aus den beteiligten Kliniken übten und fütterten somit das System. „In der HTW zeichnen wir auch Bewegungsabläufe von gesunden Personen auf“, erklärt Dennis Wittchen, einer der wissenschaftlichen Mitarbeiter im Projekt. Das System berechnet außerdem, ob eine Sturzgefahr für den Anwender besteht. Droht er aus dem Gleichgewicht zu geraten, bricht der Computer die Übung ab.

Obwohl das Projektende schon im nächsten April ansteht, hoffen die HTW-Forscher auf eine Fortsetzung. „Realistisch braucht es um die fünf Jahre, bis so eine Neuentwicklung auf den Markt kommt“, sagt Wacker. Dann könnten die Kokosnüsse bei der Therapie helfen.