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Emanzipation im Sandstein

SZ-Serie „Begegnungen im Höhenrausch“: Filmemacherin Bettina Wobst wagt sich mit jungen Frauen auf Zeitreise in den Elbsandstein.

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Clara und Bettina Wobst, Kira Mörseburg, Benita Lisette-Sonntag, Franka Peemüller und Wanda Glasewald (l. - r.).
Clara und Bettina Wobst, Kira Mörseburg, Benita Lisette-Sonntag, Franka Peemüller und Wanda Glasewald (l. - r.). © privat

Frauen waren von Anfang an mit dabei – beim Erobern der Felsen. Filmemacherin Bettina Wobst zeigte das sehr anschaulich beim Dresdner Bergsichten-Filmfestival in ihrem 43-Minuten-Streifen „Wilde Gesellinnen – Frauen im sächsischen Fels“. Die 44-jährige Dresdnerin, die selbst klettert und Bergfilme in Sachsen aber auch den Anden, dem Yosemity oder im Himalaja gedreht hat, war beteiligt beim Kraxeln in historischen Gewändern für ihren Film über die Ursprünge des Frauenkletterns in der Sächsischen Schweiz.

Bettina Wobst, was hat Sie gereizt am Thema Emanzipation im Sandstein?

Ich habe bei meinem Geschichtsstudium eine Hausarbeit über Frauen geschrieben, die schon früh Abenteuerreisen unternommen haben, zum Beispiel Alexandra David Néel, die erste Frau, die es nach Tibet geschafft hat. Sie imponiert mir sehr. Ich hatte auch immer den Traum, Berge weltweit zu besteigen und habe das auch ausgiebig getan.

Waren das Männerwelten?

Bei vielen Expeditionen waren deutlich mehr Männer vertreten. Eine Expedition auf den Aconcagua bestand aus zwölf Männer und noch einer anderen Frau neben mir. Auch im Bergfilmbereich dominieren die Männer. Den Anstoß zum Film gab Bernd Arnold, der bei seinem Hohensteiner Bergsommerfest das Frauenklettern als Thema hatte und mich gefragt hat, ob ich dafür einen Kurzfilm drehen will. Und der Historiker Joachim Schindler besaß umfangreiches Material. Daraus ließ sich etwas machen, und ich bin dafür mit Frauen in die Felsen gegangen.

Was sind Ihre Erfahrungen mit der Gleichberechtigung am Berg?

Beim Sächsischen Bergsteigerbund habe ich vor 20 Jahren einen Vorsteigerkurs belegt – da waren ausnahmsweise mal mehr Frauen als Männer dabei. Da wurde mehr geredet als sonst, alles ausdiskutiert, mehr gefragt, sagte unser damaliger Kursleiter. Aber ansonsten glaube ich, dass sich Frauen und Männer gleichberechtigt im Gebirge austoben können. Ich habe wunderbare Bergfahrten mit Männern und Frauen erlebt.

Gibt es heute noch Vorurteile?

Im Film ist ja die Rede vom Kletterklub Rohnspitzler, die traditionell noch heute keine Frauen als Mitglieder aufnehmen. Ich habe das bewusst im Film hinterfragt. Aber eher mit verschmitztem Blick. Und auch junge Klettermädels kommen zu Wort, die manchmal immer noch auf Vorurteile stoßen. Aber natürlich hat sich ganz viel geändert. Das Frauenbild ist ein anderes, Frauen gehen selbstbewusst und gleichberechtigt in die Berge. Ich glaube aber weil das Klettern in Sachsen eine andere Form hat als in Sportklettergärten, erfordert es mehr Mut und regelmäßiges Klettern. Der Bruch für viele Frauen erfolgt, wenn Kinder auf die Welt kommen. Ich habe diese Erfahrungen selbst gemacht.

Umso sensationeller sind dann Frauen, die Anfang des vorigen Jahrhunderts klettern gingen.

Ja. Genau das erzählt ja der Film. Es gab immer selbstbewusste Frauen, die andere Wege gegangen sind. Sie haben nur weniger Zeugnisse, wenige Fotos hinterlassen, wurden von den Männern nicht so wahrgenommen.

Waren Sie überrascht vom historischen Material Joachim Schindlers?

Ja, vor allem, wie viele Frauen er gefunden hat, 300 Kletterinnen vor 1945 - tolle Fotos und spannende Biografien. Zum Beispiel von den zwei Meißner Ballonfahrerinnen und Alpinistinnen Elisabeth und Margarete Große, die zu ihrer Zeit Berühmtheiten waren und heute fast vergessen sind. Und erstaunlich war für mich auch, welche schweren Wege Frauen Anfang des vorigen Jahrhunderts schon geklettert sind - im Vorstieg mit Hanfseilen und Brusteinbindung.

Genau das haben Sie nachgestellt im Film. Mussten Sie die jungen Frauen dafür überreden?

Nein, Kira, Wanda und Franka sind im Fels gut unterwegs und waren begeistert von der Filmidee. Ihre Trainerin Benita war auch gleich mit im Boot. Das war ein spannendes Abenteuer, mal einen Zeitsprung am Fels zu unternehmen. Außerdem gab es ein ausgedehntes Picknick am Wandfuß, meine Tochter hat uns unterhalten und der Kameramann Maik, der sonst kein erfahrener Kletterer ist, hat mit hohem Adrenalinausstoß tolle Aufnahmen gemacht. Das war ein herrlicher Sommer-Drehtag!

Woher kamen denn die historischen Kleider im Film?

Aus einem Kostümverleih. Wir hatten sogar historische Schuhe, aber wir sind dann doch barfuß geklettert. Mich hat selbst interessiert, wie gut man wirklich in langen Röcken klettern kann. Für Kalenderfotos bin ich selbst mal vor Jahren im kurzen Kleid solo ohne Seil die Türkenkopf-Südwand geklettert. Wenn ich das im langen Kleid gemacht hätte, wäre ich vielleicht unsicher geworden, hätte Angst bekommen, weil ich meine Füße nicht mehr gesehen hätte. Das habe ich erst jetzt nach den Dreharbeiten realisiert.

Ist beim Dreh in historischen Sachen den Frauen das Lachen vergangen?

Nein, wir hatten riesigen Spaß. Und die Sicherheit ging beim Dreh immer vor! Wir haben einen sehr leichten Weg auf das Lamm oberhalb von Rathen ausgesucht, den sie wirklich gefahrlos ohne moderne Sicherung klettern konnten. Die Mädels sind sonst viele Grade schwerer unterwegs.

Aber sie bekamen eine Ahnung, wie es den Kletterfrauen von 100 Jahren ging?

Natürlich, Benita war ja im Reifrock unterwegs und da wurde bei jedem Klettermeter klar, dass Frauen damit keine Chance hatten, ordentlich zu klettern. Das Schwierigste war, dass sie ihre Füße nicht gesehen hat. Bergsteigen heißt ja nicht umsonst „steigen“, man muss sicher sein, dass man auf einem Tritt sicher steht. Umso erstaunlicher ist, wie so die Frauen Mitte des 19. Jahrhunderts in den Alpen Dreitausender bestiegen haben.

Es gibt ja Familien-Traditionen im Film mit Oma, Tochter, Enkelin, die heute noch gemeinsam unterwegs sind...

Ich finde das ist immer sehr schön. Mutter, Oma und Enkelin Peemüller haben sich auf dem Gipfel umarmt und mir nach dem Dreh erzählt, wie sehr ihre Familie durch die Kletterei verbunden ist. Kinder bedeuten für die Mütter eben nicht für alle Zeiten das Ende der Kletterträume. Ich habe das selbst so erlebt – mit Kind stehen die Berge einige Zeit im Hintergrund. Aber wenn die Zwerge heranwachsen, dann warten noch viele tolle gemeinsame Jahre auf einen. Ich und mein Mann haben noch viele Bergträume. Und Clara, unsere Tochter bekommt diese Leidenschaft hautnah mit. Schon mit zwei Jahren stand sie mit uns auf einem Gipfel.

Waren Männer den Frauen gegenüber auch kritisch?

Natürlich gab es viele Kritiker. Die Berge, das war der Raum der männlichen Heldentaten. Die meisten Kletterklubs nahmen bis 1945 keine Frauen auf. Aber das hat die Wilden Gesellinnen nicht abgehalten, ihren Träumen zu folgen. Und Michael Schindler Recherchen und Fotos zeigen eindeutig, dass viele Männer auch gern ihre Frauen mitnahmen. So ein Gipfelkuss mit einer Frau ist halt auch nicht zu verachten.

Wie war das Echo auf Ihren Film nach den Bergsichten?

Ich fand es toll, dass dieser Film so viel Interesse fand. Der Saal war zwei Abende ausverkauft. Es kamen viele Fragen und auch Emotionen, bei Frauen und Männern! Das hat mich darin bestätigt, dass Bergfilme nicht immer über extreme Höchstleistungen berichten müssen. Was für mich zählt sind die Geschichten, was Menschen mit den Bergen verbindet, Männer wie Frauen.

Wo ist Ihr Film jetzt noch zu sehen?

Wahrscheinlich bei Bergfilm-Festivals wie Tegernsee und Graz. Vielleicht auch im Fernsehen. Da bin ich im Gespräch. Letztendlich war der Film vor allem meine persönliche Liebeserklärung an die Sächsische Schweiz und ihre Frauen. Es gab keine finanzielle Förderung. Alle haben einfach so mitgemacht, die vielen Protagonisten aber auch die Kameraleute Philip Flaemig und Maik Ssyckor-Köhler. Dafür bin ich sehr dankbar.

Das Interview führte Jochen Mayer.

In der Serie „Begegnungen im Höhenrausch“ stellen wir Berg-Abenteurer und ihre spannenden, wilden und nicht selten beeindruckenden Geschichten vor.

Teil 1: Habeler und Lama – wie Vater und Sohn durch die Todeswand

Teil 2: Tom Belz – mit einem Bein auf den Kilimandscharo

Teil 3: Eine Frau läuft quer – Ana Zirners Alpensolo

Teil 4: Von Schreien und Silence – Adam Ondra und die schwierigste Route der Welt