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„Manchmal hab ich das Gefühl, ich spiele um mein Leben“

Musiker Nils Frahm kommt nach Dresden. Im Interview erzählt er, woran er zweifelt und wonach er sucht.

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Früher probte Nils Frahm acht Stunden am Tag, um mit der Weltelite der Pianisten mithalten zu können. Heute komponiert der gebürtige Hamburger seine eigene Musik und lebt in Hamburg.
Früher probte Nils Frahm acht Stunden am Tag, um mit der Weltelite der Pianisten mithalten zu können. Heute komponiert der gebürtige Hamburger seine eigene Musik und lebt in Hamburg. © Alex Schneider

Wer den weltweit gefeierten Musiker Nils Frahm beobachtet, glaubt, dass Strom durch seinen Körper fährt. Er versinkt im Klavier, packt auf der Suche nach dem einen Klang alle greifbaren Gegenstände, trommelt mit Klobürsten auf Tische. Der 36-Jährige möchte lieber mit Du als mit Sie angesprochen werden, lieber abends mit einem Glas Wein telefonieren als im Neonlicht des Alltags. Die SZ sprach mit ihm über Liebe, Disziplin, Selbsttreue und seinen großen Erfolg.

Nils. Hast du jemals deinen Wikipedia-Artikel gelesen?

Ehrlich gesagt nicht. Sollte ich?

Er klingt ungewöhnlich. Mehr Lobeshymne als Sachbeitrag.

Was glaubst du, wer das geschrieben hat – und warum?

Vielleicht ein Fan, der es eben so sieht.

Ich könnte tagelang darüber nachdenken, wie Meinungen in neuen Kanälen verhandelt werden. Dinge werden so kompliziert, subjektiv. Manchmal denke ich: Mist, jetzt bin ich auch eine Stimme.

Aber mit eigener Sprache.

Musik machen ist in unserem Zeitalter wieder sehr interessant, weil es eine Sprache ist, die uns schon lange beschäftigt. Was wir auf Twitter schreiben, können wir in zehn, zwanzig Jahren vielleicht gar nicht mehr verstehen. Da ist so ein Studio wie im Berliner Funkhaus mit ganz vielen Instrumenten und echten Sachen eine Art Ankerplatz, wo man abwartet und sich orientiert.

Du hast Welt-Häuser bespielt. Bleibt das Funkhaus dein Favorit?

Neben der Natur ist es für mich was, wo ich mich festhalten kann. Die Architektur, das Raumgefühl, der Klang. Da krieg ich ein Gefühl, wie viel Liebe, Disziplin, Versessenheit reingeflossen ist. Das ist absolut genial.

Menschen feiern weltweit deine Musik. Das hat dich wirklich nicht verändert?

Ich hab einen Trick. Ich sage mir: Eigentlich ist das ein Missverständnis. Eigentlich haben die gar nicht mich gemeint. Ich habe da wahrscheinlich nur gespielt, weil kein anderer den Job gerade besser machen kann. Ich bin immer noch der 15-Jährige, der staunt, was die Großen da machen.

Klingt demütig.

Das ist der Boden, aus dem all meine Ambition wächst. Als Künstler, vielleicht auch als Forscher, der es noch nicht herausgefunden hat. Ich höre mir die Komplimente an, freu mich auch. Aber innerlich denke ich meinen Teil. Ich erinnere mich an meine prägende Zeit in der Schule, wie ich jeden Tag zu Konzerten gegangen bin und die Musik so was Großartiges war. Ich renne diesem Gefühl nach und hab mir immer vorgestellt, wie es sich wohl anfühlt, wenn man so einen Sound selber in der Hand hat. Das habe ich für mich noch nicht erreicht.

Wie ein Philosoph, der seiner ewig unerreichten Utopie hinterherjagt?

Ich bin ungeduldiger, als das klingt. Ich will da möglichst schnell hin. Manchmal frage ich mich: Habe ich das richtige Werkzeug in der Hand, oder irre ich mich total? Wenn man das Gefühl hat, Leute verschmelzen mit dem, was sie tun. Da will ich hin.

Genauso wirkst du aber auf der Bühne.

So werde ich wahrgenommen, das ist ja das Verrückte. Sieben Milliarden Menschen sind jeden Tag voll am Machen. Viele können es sich nicht aussuchen, ich schon. Dadurch spüre ich so einen vielleicht auch zeitgeistgeprägten Zweifel. .

Berühmt Gewordene klagen manchmal über einen Verlust der Bodenhaftung.

Verbiete ich mir. Ich finde es richtig, ein Bild von jemandem abzugeben, der ambitioniert ist, aber ich will mich nicht vom Erfolg kriegen lassen. Es gibt genug Menschen, denen er geschadet hat. Ich dachte nie: Ich bin eine Ausnahme. Ich dachte: Was wäre, wenn ich Erfolg hätte? Ich hab in mich gehört, wie ich es rationalisiere. Wenn du dich total geil findest, begibst du dich in eine Situation, wo sich jeder freut, wenn du stolperst. Es gibt dieses Video von Prince, wo er völlig zugekokst auf der Bühne steht, minutenlang keinen Ton spielt. Die Selbstsicherheit habe ich nicht.

Prince hat eher aus Unsicherheit, aus Suche extrovertierte Rollen gemimt.

Ich kann verstehen, dass Rollen die Psyche belasten. Wenn du eine Identität als Künstler gefunden hast, musst du in ihr bleiben. Deswegen dachte ich, mach ich so was nicht. Ich mach zur Identität, was ich eh schon bin. Damit ich nie nachdenken muss: Oh, welche Rolle muss ich jetzt annehmen? Das war eine logische Entscheidung. Gibt ja Leute, die in Masken Musik spielen. Das wär mir zu anstrengend. Ich will mich nicht umziehen oder auf der Bühne verkleiden. Ich will es so flüssig in den Alltag integrieren wie möglich.

Ist das Klavier trotz vieler Experimente dein Lieblingsinstrument geblieben?

Das wär unfair. Wenn man Favoriten sucht, schätzt man andere gering. Es gibt Phasen, in denen mir das Klavier nicht so viel sagt. Dann probiere ich andere Sachen, die Spaß bringen. Das entspannt von dem Druck.

Hat die Professionalisierung denn ein Stück des Zaubers geraubt?

Ich tu alles dafür, damit das nicht passiert. Ich habe mir die Freiheit irgendwie erhalten, einfach nur Musik zu machen. Auch wenn vieles professionell geworden ist, der Zauber, der ist immer wieder da; ein Glück.

Ist es das, was dir Erfolg beschert?

Es könnte auch daran liegen, dass gerade nicht mehr so viele richtig geile Livemusik machen. Früher, als noch richtig viele, geile Bands unterwegs waren, wäre jemand wie ich auch nicht so weit gekommen.

Auch du bist also Kind eines Zeitgeists?

Sicherlich. Außer ganz, ganz wenig habe ich mir gar nichts ausgedacht. Den Rest habe ich geschickt wiedergekäut. Es gibt die schöne Weisheit: Wenn du von einem Stil stiehlst, ist es Kopie; wenn du von dreien stiehlst, ist es originell.

Warum kommt deine Musik in der ganzen Welt besser an als in Deutschland?

Im Ausland neigt die Presse mehr zu Begeisterung, das drückt in die Märkte rein. In England gibt es viel Rückenwind vom BBC. Hier nicht. Ich verstehe, warum: Deutschland ist kulturell anders geprägt. Dem Unterhaltungsmusikbereich bin ich zu traurig, dem elektronischen Bereich klinge ich zu sehr nach Fahrstuhlmusik.

Bald trittst du in Dresden auf. Akustisch kann der alte Schlachthof nicht mit dem Funkhaus mithalten.

Ich glaube, ich bin gar nicht so versessen, wie es immer heißt. Das ist wie mit dem Lieblingsinstrument. Viel wichtiger kann es sein, dass es klickt. Zwischen mir und dem Publikum, dem Raum, dem Abend.

Woran denkst du bei Auftritten?

Richtig spielen tust du nur, wenn du an nichts denkst, aber du denkst auch nicht, dass du spielst, sondern agierst im besten Fall einfach nur. Das passiert manchmal, und das ist dann wie eine Sucht. Du fällst da so in eine schamanische Rolle. In solchen Momenten denke ich überhaupt nicht mehr an die Akustik. Manchmal hast du das Gefühl, du spielst um dein Leben, die Leute haben es verdient. Und dann denkst du plötzlich doch: Ich kann es.

Das Gespräch führte Franziska Klemenz.

Nils Frahm im Alten Schlachthof: 28.11. um 20 Uhr / Tickets unter www.sz-ticketservice.de