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Liebe Lehrerinnen und Lehrer!

Ein offener Brief von SZ-Redakteur Marcus Thielking an die Pädagogen, die uns unsere Kopfnoten verpassen.

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Wie heißt es bei "Max und Moritz" von Wilhelm Busch: "Also lautet ein Beschluss, dass der Mensch was lernen muss. Nicht allein das Abc bringt den Menschen in die Höh." - Zählen auch die Kopfnoten dazu, Lehrer Lämpel?
Wie heißt es bei "Max und Moritz" von Wilhelm Busch: "Also lautet ein Beschluss, dass der Mensch was lernen muss. Nicht allein das Abc bringt den Menschen in die Höh." - Zählen auch die Kopfnoten dazu, Lehrer Lämpel? © INTERFOTO

Sicher haben Sie die Berichterstattung über das Thema Kopfnoten in Sachsen mit ebenso großem Interesse verfolgt wie ich. Laut einem Gerichtsurteil sind Kopfnoten in bestimmten Fällen verfassungswidrig, weil sie das Recht der Schüler auf freie Berufswahl verletzen. Klar, wer schlechte Noten in Betragen, Fleiß, Ordnung oder Mitarbeit hat, den will kaum ein Chef einstellen, und sei die Mathe-Note noch so gut. Ich möchte mich hiermit als unmittelbar Betroffener zu Wort melden und Sie als Lehrkörper in dieser Sache an Ihre Verantwortung erinnern.

Tatsächlich kann ich bestätigen, dass die Bewertungen, die Sie in Schulzeugnissen vornehmen, unmittelbaren Einfluss auf die spätere Berufswahl sowie überhaupt auf das komplette Leben haben. Bei mir zum Beispiel war schon nach dem allerersten Jahr auf der Grundschule im Zeugnis zu lesen: „Marcus kennt alle Buchstaben und kann auch unbekannte Texte sinnbetonend lesen. Das Abschreiben von einer Vorlage bereitet ihm keine Schwierigkeiten.“ Von diesem Tag an war meine Laufbahn als Journalist natürlich vorgezeichnet. Ich hatte auch später in Deutsch fast immer eine Eins, während ich vor allem in Sport und Biologie meistens nur mittelmäßige Noten bekam. Aus meinem Kindheitstraum Fußballreporter wurde deshalb nichts, und ich landete im Feuilleton. Wie gesagt – das hätte man damals alles schon ahnen können!

Was nun meine Kopfnoten betrifft, so waren die eigentlich immer ganz gut. Nur einmal, in der siebten Klasse, hatte ich eine Drei. „Verhalten: befriedigend“, so stand es ganz oben im Kopf des Zeugnisses. Sie werden jetzt vielleicht sagen: Komm, hab dich nicht so! Eine Drei ist doch nicht so schlimm. Aber so kann wohl nur ein Lehrer denken, der es gewohnt ist, alles von eins bis sechs zu benoten. Eine Drei in Religion oder in Erdkunde, ja, damit kann man leben. Dann setzt man sich halt hin und paukt und macht es beim nächsten Mal besser. Aber jetzt stellen Sie sich mal vor, jemand würde Ihren Charakter und Ihre Persönlichkeit bewerten. Wenn Sie zum Beispiel Ihren Mann oder Ihre Frau fragen: Wie findest Du mich denn so? Und dann kommt als Antwort: „Befriedigend.“ Verstehen Sie jetzt, wie gemein das ist?

Ich habe diese Drei als Kopfnote jedenfalls mein Leben lang nicht vergessen und musste jetzt gleich wieder daran denken, als die Nachricht vom Gerichtsurteil in Sachsen kam. Keine Ahnung, ob ich nachträglich noch vors Bundesverfassungsgericht ziehen könnte. Wer weiß, was ohne dieses Trauma aus mir geworden wäre! Also, liebe Lehrer, denken Sie beim nächsten Mal bitte nach. Ich meine, Siebtklässler – sind die nicht sowieso in einem ganz schwierigen Alter? Sind nicht eher die verdächtig, die sich da völlig normal verhalten? Und überhaupt, was soll das eigentlich heißen und was ist das für ein bescheuertes Wort, „befriedigend“? Fast so grässlich wie „Kopfnote“. Sprachlicher Ausdruck: Sechs. Setzen!

Ihr Marcus Thielking

Der offene Brief ist eine Rubrik aus dem Wochenendmagazin der Sächsischen Zeitung.