Merken

Kritisch denkend bis zuletzt

Der Dresdner Künstler Jürgen Schieferdecker hat sich politisch eingemischt und für Kollegen eingesetzt. Am Montag ist er gestorben.

 3 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Jürgen Schieferdecker und seine "Schlüsselerlebnisse", seine letzte Personalausstellung in Dresden.
Jürgen Schieferdecker und seine "Schlüsselerlebnisse", seine letzte Personalausstellung in Dresden. © Matthias Rietschel

Er war ein politischer Künstler, ein engagierter Hochschullehrer, ein freundlicher und warmherziger Mensch. Was er sagen wollte, hat er mitunter ironisch formuliert, aber er hat nie drumherum geredet.

Am Montag ist Jürgen Schieferdecker im Alter von 81 Jahren gestorben. Er war schon seit längerer Zeit krank. Trotzdem hat er noch gearbeitet. Erst vor einem Jahr zeigte die Dresdner Galerie Rahmen & Bild in der Bautzener Landstraße Schieferdeckers „Schlüsselerlebnisse“. Die Ausstellung war wie eine Biografie in Collagen. Darin hatte er noch einmal sein Leben aufgeblättert, das 1937 in Meerane begann. Dem 10-jährigen hatte die Mutter nicht ausgeredet, Künstler werden zu wollen. Er erinnerte an einen Lehrer wie Georg Nerlich, der dem Architekturstudenten Schieferdecker und seinen Kommilitonen Vertrauen schenkte und demokratische Tugenden vorlebte. Die Collagen zeigen, dass der Architekt und Hochschullehrer Schieferdecker sich diverse künstlerische Techniken selbst aneignete, erinnern daran, dass er das Logo der TU Dresden entwarf und das künstlerische Gesicht des Campus prägte. Sie berichten von Vorbildern wie dem Dalai Lama oder dem Künstler Max Ernst. Sie erzählen Familiengeschichten über Kinder und Enkelkinder, auf die er sehr stolz war. Und sie zeigen immer wieder die Reaktion eines politisch denkenden Menschen auf fremdenfeindlich motivierte Angriffe auf Ausländer in Dresden.

Als Künstler war Schieferdecker seit 1959 freischaffend tätig. Sein vielgestaltiges Lebenswerk – Malerei, Assemblagen, Druckgrafik, Objekte, Installationen – war zu jeder Zeit gesellschaftskritisch und provokativ. Intensiv setzte er sich mit der deutschen Vergangenheit auseinander. Das brachte ihm bald Anerkennung in Form internationaler Preise ein. Aber es führte auch zur Überwachung durch die Staatssicherheit in den 1980er-Jahren.

„Mit seiner Haltung und seinem Werk nimmt Jürgen Schieferdecker innerhalb der Dresdner Kunst des letzten Halbjahrhunderts eine wichtige Stelle ein, indem er die von Otto Dix, Otto Griebel und Hans Grundig begründete Traditionslinie einer sozial intendierten Kunst fortgeführt hat“, sagt Antje Friedrich, Geschäftsführerin des Dresdner Künstlerbundes, den Jürgen Schieferdecker einst mitbegründete und dem er viele Jahre vorstand.

Im künstlerischen Beirat der Technischen Universität Dresden förderte er Künstlerinnen und Künstler – gern auch die unangepassten, die mit Qualität überzeugten – mit Aufträgen und Ankäufen. Sein wohl größter Coup gelang ihm 1984, als er nach langem Hin und Her trickreich durchsetzen konnte, dass ein Hauptwerk Hermann Glöckners, die fünfzehn Meter hohe, abstrakte Stahlplastik „Mast mit zwei Faltungszonen“, am Fritz-Förster-Platz aufgestellt wurde. Dort steht sie noch heute und erinnert sowohl an den großen Glöckner als auch den nicht minder bedeutsamen Schieferdecker.

Nach der Wende wirkte Schieferdecker in Gremien wie der Stiftung Kulturfonds und dem Sächsischen Kultursenat mit. Werke von Jürgen Schieferdecker befinden sich im Besitz der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, des Museums Meerane, der Neuen Sächsischen Galerie Chemnitz und der Brandenburgischen Kunstsammlungen Cottbus.

Zum Glück konnte er im Frühjahr diesen Jahres noch persönlich den Kunstpreis der Stadt Dresden entgegennehmen, für den er in den Jahren zuvor mehrfach schon vorgeschlagen worden war.