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Warum Familie Seiler für das Erzgebirge wichtig ist

Am Wochenende beginnt wieder die Zeit der Bergaufzüge. Das bedeutet viel Arbeit für einen kleinen Familienbetrieb.

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Der Maßschneidermeister Markus Seiler zeigt in seiner Marienberger Werkstatt Bergkittel und Hüte, die zum festlichen Habit getragen werden.
Der Maßschneidermeister Markus Seiler zeigt in seiner Marienberger Werkstatt Bergkittel und Hüte, die zum festlichen Habit getragen werden. © dpa/Hendrik Schmidt


Marienberg. In einem der vielen Regale lagert eine schlichte Pappschachtel. "Bergkittel" steht in Handschrift darauf. Auf dem überfüllten Arbeitstisch darunter liegen einige goldene Knöpfe mit aufgeprägtem Hammer und Schlegel zum Annähen bereit. Maßschneidermeister Markus Seiler kann in diesen Tagen zumindest kurz durchatmen, während sich die Knappenvereine für die große Auftaktbergparade mit mehr als 1000 Teilnehmern am 1. Adventswochenende in Chemnitz warm laufen.

Bis zuletzt saß er an seiner Nähmaschine, um noch ein neues Futter einzusetzen oder eine Änderung an der Uniform eines Bergmanns vorzunehmen. Der 43-Jährige führt seit Jahresbeginn das Familienunternehmen Trachten Seiler in Marienberg und übernahm damit von seinem Vater eine selten gewordene Handwerkskunst: Wer als Bergmann etwas auf seine äußere Erscheinung gibt, kommt in die Marienberger Baderstraße.

Familie Seiler gilt als die Anlaufstelle in Sachen Bergmannshabit, so die Bezeichnung für die aufwendig verzierten Paradeuniformen der einstigen Bergleute. "Inzwischen war sicher fast jede sächsische Knappschaft schon einmal bei uns", sagt Markus Seiler. Hinzu kämen Vereine aus Bayern, Hessen oder dem Saarland.

Allein in Sachsen gibt es nach Angaben des Landesverbandes 50 Bergmanns-, Hütten- und Knappenvereine - von A wie Knappenverein Altenberg bis Z wie Bergmännischer Traditionsverein Zwönitz. Hinzu kommen laut Geschäftsführer Franz-Peter Kolmschlag 14 Musikkapellen, die das Erbe des Bergmannsliedes pflegen. "Entgegen dem Trend haben wir dieses Jahr sogar drei neue Mitglieder aufgenommen." Bis Weihnachten stehen demnach neun weitere Bergparaden an, dazwischen diverse Bergaufzüge und Mettenschichten. Auch nach Einschätzung des Landesverbandes sind die Marienberger bei der Tracht die Nummer Eins.

Ein neuer Bergkittel, Bergfrack oder Bergrock - die Begriffe variieren nach Angaben Seilers je nach Revier und Zeit - wird ausschließlich nach Maß gefertigt. Während sich das Kleidungsstück über die Jahrhunderte kaum verändert habe, verlasse er sich bei dessen Fertigung auch gern auf moderne Technik. Nach dem Maßnehmen erstelle er am Computer ein Schnittmuster. "Das klappt so gut, das wir in der Regel keine Anprobe brauchen." Auch die detailreichen Stickereien - vom Namen der jeweiligen Knappschaft bis zum sächsischen Wappen - erledigt heute eine computergesteuerte Stickmaschine.

Der Großteil sei allerdings nach wie vor Handarbeit, die je Berghabit bis zu einer Woche in Anspruch nehmen könne. Vor allem die zahllosen Verzierungen seien äußerst aufwendig, berichtet Seiler, der nach eigenem Bekunden unter dem Zuschneidetisch aufgewachsen ist.

Nach 40 Jahren im Geschäft tritt Vater Klaus-Jürgen als Seniorchef inzwischen ein wenig kürzer. Mutter Thea sitzt hingegen noch täglich an der Nähmaschine. Seit 1686 habe die Baderstraße 5 als Handwerkerhaus gedient, schon Webstühle oder - unter der Großmutter - eine Stickerei beherbergt, berichtet die 62-Jährige.

Um detail- und originalgetreu zu arbeiten, halten sich die Seilers an eine historische Vorlage: "Trachten der Berg- und Hüttenleute im Königreiche Sachsen" sind die Kupferstiche aus dem Jahr 1831 überschrieben. Der Bildband dient als wichtigste Arbeitsgrundlage und verrät, was das einzelne Habit ausmacht. Dabei gäbe es nicht nur Unterschiede zwischen den Revieren, sondern auch zwischen verschiedenen Positionen.

Während der Oberberghauptmann mit Samtjacke und Samthut einschließlich prächtiger goldener Verzierungen daherkommt, muss der einfache Hauer mit einem deutlich schlichteren Habit vorlieb nehmen. Neben den Jacken werden in der Schneiderei auch die passenden Schachthüte mit stehenden oder hängenden Federbüschen gefertigt.

In Gestalt des Freiberger Bergkittels - sozusagen dem Smoking der Bergleute - findet das Kleidungsstück Verbreitung über die Grenzen des Erzgebirges hinaus. Denn inzwischen trägt nicht nur mancher Professor der TU Bergakademie Freiberg bei besonderen Anlässen das schwarze Kleidungsstück, berichtet Sprecherin Luisa Rischer. Auch unter den knapp 300 Studenten der Fachrichtung Geotechnik und Bergbau sei die Tracht zunehmend angesagt.

Deutlich mehr als die Hälfte der Studierenden aus 26 Ländern - darunter die USA, Indien, Vietnam, Chile oder Kasachstan - bekennen sich demnach bei großen Prüfungen oder der Verteidigung zur Bergbautradition des Erzgebirges. "Sie tragen den Bergkittel mit Stolz und verstehen ihn als identifikationsstiftend", so Rischer. (dpa)