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Einmal Türöffnen für 1.532,49 Euro

Ein Azubi aus Leipzig sperrt sich versehentlich selbst aus. Der Schlüsseldienst hilft ihm. Er muss sofort bezahlen.

Von Christian Mathea
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Die Rechnung des Schlüsseldienstes war für Maximilian Ries ein Schock.
Die Rechnung des Schlüsseldienstes war für Maximilian Ries ein Schock. © dpa/Peter Endig

Maximilian Ries wollte einfach nur einkaufen gehen. Tüte in der Hand, Einkaufsliste im Kopf - und der Schlüssel in der Wohnung. Das wird dem 20-Jährigen allerdings erst klar, als die Tür ins Schloss fällt. Wie so oft in solchen Fällen, befindet sich der Ersatzschlüssel ebenfalls in der Wohnung. Also bleibt nur der Schlüsseldienst. "Ich habe gegoogelt und den Erstbesten gerufen", sagt Ries. Eine nette Frau an der Leitung habe den Auftrag entgegengenommen, eine halbe Stunde später standen zwei Monteure im Treppenhaus des Leipziger Neubaublocks. Sie inspizierten auch gleich die Tür und kamen zu dem Schluss, dass das Schloss aufgebohrt werden muss. Einen Preis wollten sie zunächst nicht angeben und erklärten stattdessen, dass sich dieser nach der Länge des Schließzylinders richtet, erinnert sich Ries. Konkrete Nachfragen wiegelten sie ab. "Ich hatte zu diesem Zeitpunkt mit 200 bis 300 Euro gerechnet", sagt der Auszubildende.

Doch es kam anders. Nachdem die beiden Monteure ein neues Schloss eingebaut hatten, machten sie sich daran, die Rechnung zu schreiben. Neues Schloss 182 Euro, Einbau 50 Euro, Zuschlag hier und Zuschlag da - und irgendwann stand dann die Endsumme von 1.532,49 Euro. "Sie redeten mir ein, dass ich den Betrag gleich bezahlen muss", sagt Ries, der sich unter Druck gesetzt fühlte und mit seiner EC-Karte den Betrag beglich. "Ich gebe zu, es war dämlich, das hätte ich nicht machen sollen. Aber in einer Notsituation will man einfach in seine Wohnung zurück, da beschäftigt man sich nicht mit Preisen", erklärt er.

Klage hat Aussicht auf Erfolg

Das teure Erlebnis ist über vier Monate her. Ries will jetzt gegen die Firma MC Schlüsselnotdienst vorgehen und hat sich bei der Verbraucherzentrale Sachsen beraten lassen. Ein Schreiben an das Unternehmen mit der Forderung, die Summe zurückzuzahlen, blieb unbeantwortet. Nun will der Leipziger vor Gericht klagen und hat Prozesskostenbeihilfe beantragt. Für Anfragen der Sächsischen Zeitung war die Firma MC-Schlüsselnotdienst aus Ratingen (Nordrhein-Westfalen) unter der auf der Rechnung angegebenen Telefonnummer nicht zu erreichen.

Nach Einschätzung von Rechtsexpertin Stefanie Siegert von der Verbraucherzentrale Sachsen hätte die Klage von Maximilian Ries Erfolgsaussichten - zumindest, was das Gerichtsurteil betrifft. Bei einem Preis von 1.500 Euro könne man von Wucher ausgehen. "Wucher bedeutet, dass ein Preis verlangt wird, der knapp doppelt so hoch ist wie der ortsübliche." Aber woher weiß der Richter, was der ortsübliche Preis ist? In einigen Verfahren sei dafür die Preistabelle des Bundesverbandes Metall (BVM-Tabelle) zugrunde gelegt worden, erklärt Stefanie Siegert. In einem Fall wie dem von Maximilian Ries könne man mit allen Zuschlägen und dem Einbau eines hochwertigen Sicherheitsschlosses von 400 Euro ausgehen - was allerdings schon sehr hoch angesetzt sei. "Zudem bauen solche Schlüsseldienste oft günstigere Standardschlösser ein, die einen derartigen hohen Preis nicht rechtfertigen."

Falls die Richter in einem Verfahren die BVM-Tabelle nicht akzeptieren sollten, müsse ein Gutachter hinzugezogen werden - und das könne teuer werden. "Deshalb scheuen sich auch viele Betroffene vor einem Gerichtsverfahren", sagt Stefanie Siegert. Denn obwohl es einfach ist, ein Urteil zu bekommen, scheitert die Zwangsvollstreckung oft an der vermeintlichen Vermögenslosigkeit des Schuldners. Und damit bleibt der Kläger auf den Kosten sitzen.

Die Verbraucherzentrale kämpft seit einem Jahr an sächsischen Amtsgerichten gegen unseriöse Schlüsseldienste. Insgesamt acht Verfahren hat sie angestrengt und in sieben Fällen auch ein Urteil erzielt. Die Zwangsvollstreckung war allerdings nur bei einer Betroffenen erfolgreich. "Die Dame erhielt fast 500 Euro zurück", sagt Rechtsexpertin Stefanie Siegert. Ansonsten sei das Ergebnis ernüchternd gewesen. "Probleme gab es zum Beispiel schon bei der Ermittlung ladungsfähiger Anschriften, um überhaupt eine Klage einreichen zu können."

Auch der Polizei sind vergleichbare Fälle bekannt. "Die Schadenssummen liegen zwischen 400 bis 1.000 Euro", sagt beispielsweise Dresdens Polizeisprecher Mario Laske. Im Mittelpunkt der Ermittlungen stehe der Verdacht des Wuchers - allerdings nicht nur aufgrund des hohen Preises, sondern auch, weil eine Zwangslage, Unerfahrenheit, Mangel an Urteilsvermögen oder die erhebliche Willensschwäche eines anderen ausgebeutet werde, um sich einen Vermögensvorteil durch die Schlüsseldienstleistung zu verschaffen, so Laske.

Viele Firmen kommen aus NRW Die meisten dubiosen Schlüsseldienste, die gerade in Sachsen ihr Unwesen treiben, kommen aus Nordrhein-Westfalen - wie auch ein aktueller Fall aus Zwickau zeigt. "Im Mai hatte eine solche Firma für eine Türöffnung mit anschließendem Einbau eines neuen Schlosses über 1.400 Euro verlangt", sagt der dortige Polizeisprecher Oliver Wurdak. Warum ausgerechnet Nordrhein-Westfalen? Darüber könne man nur mutmaßen, antwortet er.

Täter in Sachsen kommen aus NRW

Bei den Fällen der Verbraucherzentrale Sachsen kommen die Täter ebenfalls aus NRW, was der Betroffene allerdings zunächst gar nicht bemerkt. "Die Webseite suggeriert, dass es sich um ein ortsansässiges Unternehmen handelt. Da steht dann beispielsweise Schlüsseldienst Leipzig oder Schlüsseldienst Chemnitz", sagt Stefanie Siegert. Dazu sei immer eine 0800-Nummer angegeben. "Über diese Nummer ruft der Kunde an, daraufhin werden Handlanger vor Ort informiert", erklärt sie.

Die Masche der dubiosen Schlüsseldienste ist oft die gleiche. Sie nutzen die Situation der Betroffenen aus, die sich in einer ausweglosen Lage fühlen. Die Verbraucherzentrale und die IHK Chemnitz raten deshalb, einen kühlen Kopf zu bewahren. Bevor man im Telefonbuch gleich den ersten Schlüsseldienst mit dreimal AAA nimmt, sei es besser, sich an ein lokales Geschäft zu erinnern und im Telefon gezielt danach zu suchen, sagt Bert Rothe von der Industrie- und Handelskammer Chemnitz. Falls der Monteur aus der Nähe kommt, brauche man auch nur die Kosten für An- und Abfahrt innerhalb der Ortsgrenzen zu bezahlen.

Bei ortsansässigen Betrieben sei eine Abzocke eher unwahrscheinlich, wie Robert Schminke von der Chemnitzer Handwerkskammer verdeutlicht: "Ein Metallbau- oder Schlossereibetrieb mit einem breiten Portfolio kann es sich nicht leisten, mit Abzockerpreisen Kunden zu vergraulen. Jemand, der einen überteuerten Preis für einen Schlüsselnotdienst bezahlt hat, wird das herumerzählen."

Generell ist es wichtig, bereits am Telefon einen verbindlichen Komplettpreis für die Türöffnung zu vereinbaren - inklusive Anfahrt und eventuelle Zuschläge, rät die Verbraucherzentrale. Dazu ist es nötig, die genauen Umstände zu schildern - also um welche Art von Schloss es sich handelt, und ob die Tür abgeschlossen oder nur zugefallen ist. Oft ist es auch sinnvoll, sich mehrere Angebote einzuholen.

Übrigens: Schlüsseldienste dürfen Zuschläge nur außerhalb der üblichen Arbeitszeiten verlangen. Sofortzuschläge, Bereitstellungszuschläge und Spezialwerkzeugkosten sind laut einem Urteil des Amtsgerichtes Frankfurt am Main nicht erlaubt.

Aktenzeichen: 31 C 63/98-44

Preisvergleich

Die Verbraucherzentrale Brandenburg hat in einer bundesweiten Umfrage im vergangenem Jahr 600 Schlüsseldienste nach Preisen für eine einfache Türöffnung (Tür ins Schloss gefallen) befragt - inklusive Anfahrt aus der nahen Umgebung.

Tagsüber an einem Werktag liegt der Durchschnittspreis in Sachsen bei 63,72 Euro. Damit liegt der Freistaat im unteren Mittel aller Bundesländer.

Nachts liegt der Durchschnittspreis in Sachsen bei 101,44 Euro. Damit liegt Sachsen auch hier im Mittel.

Bei der Umfrage handelt es sich nur um Orientierungswerte.