Merken

Die Retterin des Runzelkorns

Janine Kittler ist die einzige Lichtdruckerin Europas. Für die SZ-Aktion "Lichtblick" druckt sie ein  an der Bastei entstandenes Bild. Im Video zeigen wir, wie sie arbeitet.

Von Birgit Grimm
 5 Min.
Teilen
Folgen
Janine Kittler an der Druckmaschine von 1910 in der Leipziger Lichtdruckerei.
Janine Kittler an der Druckmaschine von 1910 in der Leipziger Lichtdruckerei. © Ronald Bonß

Hundert Jahre farbecht, mindestens! Tiefste Schatten, echte, rasterlose Halbtöne! Feine Linien in allen Tonwerten!

Ein Hightech-Werbespot für die Herstellung hochwertiger Faksimiles, künstlerischer Grafiken und Fotografien? Das könnte man annehmen. Doch die Qualitäten, die hier gepriesen werden, erreicht man mit Maschinen, die unter Denkmalschutz stehen und mit einem Verfahren, das der Königlich bayerische Hoffotograf Joseph Albert 1868 entwickelte: dem Lichtdruck. „Der Lichtdruck ist die Tochter der Fotografie“, sagt Janine Kittler und spachtelt schwarze Farbe auf die Druckwalzen, legt einen großen Bogen Papier ein, der auf der Rückseite schon bedruckt ist. Andruck für ein Heimatbild der besonderen Art: SZ-Fotograf Thomas Kretschel hat im September an der Bastei die felsige Szenerie im Raaber Kessel mit seiner Plattenkamera fotografiert. (siehe SZ vom 26. September) Davon wird in der Leipziger Lichtdruckerei eine Auflage von 65 Exemplaren gedruckt.

Thomas Kretschel hatte Hermann Krone im Sinn, als er im Spätsommer zur Bastei fuhr. Der Foto-Pionier war es, der im September 1853 erstmals an der Basteibrücke „mit Licht malte“. Mit Kamera, Glasplatten und Entwicklungsutensilien auf dem Handwagen war er in die Natur hinausgezogen und brachte den Beweis mit nach Dresden, dass Landschaftsfotografie nicht nur möglich, sondern absolut faszinierend ist.

Lichtdruck der Kollodium-Nassplattenfotografie von Thomas Kretschel. 
Lichtdruck der Kollodium-Nassplattenfotografie von Thomas Kretschel.  © Repro: Thomas Kretschel

Obwohl mit historischer Technik aufgenommen, ist Kretschels Foto ein modernes Bild, das nicht versucht, Vergangenheit heraufzubeschwören. Zwei Bergsteiger im Miniaturformat auf dem Gipfel in respektabler Entfernung. Einer hat das Seil in der Hand, der andere fotografiert seinen Freund mit dem Handy. Alle Feinheiten sind deutlich zu sehen. Die hohe Qualität der historischen Technologien ist der Grund, warum Thomas Kretschel für seine Kollodium-Nassplatten-Fotografie unbedingt einen Lichtdruck wollte und sich die Zeit für dieses langwierige Projekt nahm. Der Verkaufserlös fließt zu Teilen in die weihnachtlich-leuchtende Spendenaktion der Sächsischen Zeitung: Lichtmalerei mit Lichtdruck für „Lichtblick“.

Für die Druckerin ist der Andruck so aufregend wie für den Fotografen. Beide sind sehr konzentriert. Thomas Kretschel beobachtet jeden Handgriff. Als das erste Blatt vor ihnen liegt, sagt er anerkennend: „Für den Andruck sieht das gut aus! Alles da, du siehst sogar, wie er das Seil hält.“ Sie nickt und meint: „Wenn das jetzt noch Bums kriegt ...“ Noch mehrere Probebögen werden an diesem Tag die Maschine verlassen. Mehrmals noch wird Janine Kittler die leinölhaltige Farbe aus der Gelatine waschen und mit einer Mischung aus Glyzerin und Wasser die Druckplatte neu befeuchten. Es dauert, so lange es dauert, bis sie endlich ernst macht und sauberes Papier in die Maschine einlegt.

Es grenzt an ein Wunder, dass es in Leipzig noch eine Lichtdruckerei gibt, in der eine junge Frau die Maschinen bedient. Von einst 2 000 Lichtdruckereien in der Welt arbeiten heute noch zwei. Die andere steht in Kyoto. Auch die Leipziger Druckerei, die jetzt zum Museum für Druckkunst gehört, stand mehrfach vor dem Aus. Zu aufwändig, zu teuer, kein Nachwuchs ... Werner Voigt ist 66 und hat schon zu DDR-Zeiten Auflagenkunst und kostbare Faksimiles für Museen hergestellt. Jetzt kommt der Präparateur nur noch ins Museum, wenn Janine Kittler ihn darum bittet.

Er bereitet die Glasplatte für den Druck vor. Jeder Handgriff sitzt, trotzdem dauert das Prozedere zwei Tage. Die Scheibe muss nicht nur sauber sein, sondern absolut rein, ohne kleinste Huckelchen und Buckelchen. Schon ein Haar könnte das Glas brechen lassen, wenn die Maschine mit einem Druck von drei Tonnen die Farbe aus der Gelatine aufs Papier presst.

Wo gibt es das Bild? 

Der Lichtdruck von Thomas Kretschel erscheint in einer Auflage von  65 Exemplaren. Jedes Exemplar kostet 265 €, zzgl. 10 € Versand. Davon gehen 145 € als Spende an „Lichtblick“. Der Druck ist circa 40 mal 29 Zentimeter groß (ohne Rand; mit weißem Rand etwa A3-Format).

Bis zum 19. Januar 2019 ist der Druck in  allen SZ-Treffpunkten, im Museumsshop des Dresdner Schlosses und unter www.lichtblick-sachsen.de/lichtbilder erhältlich. 

Ein Direktverkauf findet am Freitag, 7. Dezember von 10 bis 18 Uhr im Kleinen Schlosshof des Dresdner Schlosses statt.

Wer sich für Hermann Krone interessiert, kann sich im Studiensaal des Kupferstich-Kabinetts im Schloss die historischen Original-Fotografien vorlegen lassen. Geöffnet: Mo/Fr 10 – 13; Mi 10 – 13; 14 – 16, Do 14 – 18 Uhr. Geschlossen vom 21.12.18 – 2.1.19

1 / 3

Gelatine?! „Ja, die kann man essen. Früher haben wir auch mal den Bauern geholfen, wenn ausgerechnet zum Schlachtfest keine Gelatine zu bekommen war. Da haben sie ihre Sülze eben aus Fotogelatine gemacht“, erzählt Voigt. „Lichtempfindlich wird sie übrigens mit Kaliumdichromatlösung.“ Zwei Schichten trägt er auf, erwärmt das Ganze auf 47 Grad in einem Spezialofen und lässt es über Nacht abkühlen. Am Tag darauf wird die Emulsion mit dem Halbton-Negativ belichtet, das vorher von der Fotoplatte angefertigt und auf Kretschels Wunsch vergrößert wurde. Die Landschaft an der Bastei wird zwischenzeitlich zum Relief. Lichtgerbung heißt dieser Vorgang, der im kalten Wasserbad gestoppt wird. Dabei bildet sich das charakteristische Runzelkorn, an dem ein Lichtdruck später zweifelsfrei zu erkennen ist. Allerdings sieht man das nur mit der Lupe.

Foto: Ronald Bonss
Foto: Ronald Bonss
Werner Voigt Foto: Ronald Bonss
Werner Voigt Foto: Ronald Bonss
Thomas Kretschel Foto: Ronald Bonss
Thomas Kretschel Foto: Ronald Bonss
Foto: Ronald Bonss
Foto: Ronald Bonss
Foto: Ronald Bonss
Foto: Ronald Bonss
Foto: Ronald Bonss
Foto: Ronald Bonss
Foto: Ronald Bonss
Foto: Ronald Bonss
Foto: Ronald Bonss
Foto: Ronald Bonss
Repro: Thomas Kretschel
Repro: Thomas Kretschel

„Ritterin des Runzelkorns“ nennt Thomas Kretschel die Druckerin. Sie nimmt das schmunzelnd zur Kenntnis und widerspricht nicht. Aber sind sie und ihre Kollegen nicht viel mehr die Retter des Runzelkorns? Zwölf Jahre ist Janine Kittlers erste Begegnung mit dem Lichtdruck her. Ihre Faszination war so groß, dass sie sofort nach einem Praktikumsplatz fragte. Der Meister meinte: „Mädel, was willst denn du hier noch? Es ist vorbei.“ Vorbei ist es bis heute nicht. Janine Kittler lernte Offsettdruckerin und arbeitete immer parallel in der Lichtdruckwerkstatt, fuchste sich in das alte Handwerk ein. Lichtdrucker ist schon seit Jahrzehnten kein Ausbildungsberuf mehr. Eine Prüfung ablegen musste sie trotzdem. Inzwischen studiert Janine Kittler an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst Fotografie, druckt als Freiberuflerin für Künstler, veranstaltet Workshops und Schaudruckvorführungen. Die Lichtdruckerei gehört zum Museum für Druckkunst, ist gelebte Industriekultur. „Man überlebt gerade so als Selbstständige. Aber ich kann das hier nicht loslassen“, sagt Janine Kittler.

Gern möchte sie ihre Kommilitonen von der HGB für dieses alte Handwerk erwärmen, mit dem man nur wahre Kunst drucken sollte. „Die Qualität der Vorlagen wirkt sich immer auf den Druckprozess aus. Probleme gibt es fast immer. Aber genau darin liegt der Reiz: Ich will immer das Maximum erreichen“, sagt sie. Das ist ihr auch in diesem Fall wieder gelungen. Thomas Kretschel musste sie übrigens gar nicht lange davon überzeugen, dass seine Ansicht der Sächsischen Schweiz ein Bild ist, das den Lichtdruck braucht.