Merken

Der Witz muss raus

Die Zeiten sind rau und politisch korrekt. Da kann man schon mal fragen: Was macht eigentlich der Witz? 

 8 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Ein Witz ist immer Reden auf Glatteis: Man kann jederzeit ausrutschen.
Ein Witz ist immer Reden auf Glatteis: Man kann jederzeit ausrutschen. © Westend61/Getty Images

Der erzählte Witz ist tot! Oder? Fragt man nach einem guten Witz, wissen viele keine Antwort mehr. Stattdessen gibt es Gagfilmchen im Internet. Die Flut von bebilderten Witzchen, die über Nachrichtenkanäle geschickt werden, hat den mündlichen Witz abgelöst. Nun könnte man kalauern: So what(sapp)? Die Zeiten haben sich eben geändert, um gleich noch einen alten Kalauer des Kulturpessimismus hinterher zu schieben.

Außerdem: Natürlich gibt es sie noch, die analoge Witzelei. Zum Beispiel von Fips Asmussen, dem – laut Eigenreklame – „Gottvater des Humors“. Der 80-Jährige ist schon fünf Jahrzehnte im Humorgeschäft. Als „Possenreißer mit Grütze im Kopf“ frönt er gern auch dem unanständigen Witz, wie er seine Zoten nennt. Asmussens Auftritte quer durchs Land sind gut besucht, so wie sein Gastspiel im Oktober in Dresden. Viele, vor allem Männer, wollten die Legende des deutschen Schenkelklopferhumors noch mal live sehen. Denn auch mit Grütze im Kopf lebt man ja nicht ewig.

Als Asmussen vor fünf Jahrzehnten anfing, war Witzeerzählen noch Popkultur oder Volkskultur, wie man es damals nannte. An Stammtischen und auf Familienfeiern ging der Direkthumor im fortgeschrittenen Suffstadium von Mann zu Mann, von Mund zu Mund. Nicht nur in Westdeutschland – wo Asmussen Millionen Schallplatten verkaufte –, sondern auch in der DDR. Dort wurde der Witz vor allem als Mittel genutzt, um den oft trüben Verhältnissen etwas Lustiges abzugewinnen. Witzeerzählen war eine echte Volkskunstbewegung, wobei etliche Witze aus der Nazizeit (in der auf Hitler-Witze übrigens die Todesstrafe stand) abgewandelt übernommen wurden.

Über fast alles wurde in der DDR gewitzelt: die Versorgungslage, die Staatsführung, die Dummheit der Sicherheitsorgane („Wie öffnet ein Polizist eine Fischbüchse? – Aufmachen, deutsche Volkspolizei!“). Der westdeutsche Geheimdienst BND hatte sogar Witze über die DDR gesammelt und dem Kanzler Kohl in einer Witzeakte vorgelegt, weil er sie als Stimmungsbarometer des Ostvolkes wertete. Zudem veröffentlichte Anfang der Fünfziger das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen Heftchen mit Anti-SED-Witzen. Außerdem wurde die Satirezeitung „Tarantel“, unter anderem mit Flüsterwitzen, von 1950 bis 1962 von Westberlin aus in den Osten geschmuggelt. Die DDR-Staatsmacht nahm die Lächerlichmachung ihrer selbst damals extrem ernst, was sofort mit schwarzem Humor quittiert wurde: „Was ist ein 08/15 Witz? Ein Witz, der in acht Sekunden erzählt ist und für den man dann 15 Jahre sitzen muss.“

Konsequenzen wie diese haben sich zum Glück erledigt. Leider scheint heute aber auch die Eigeninitiative bei der Volksbelustigung größtenteils out. Und auch das reine Witzeerzählen auf der Bühne, ohne Video-Schnickschnack und roten Programmfaden, war in der jüngeren Vergangenheit ziemlich wenig angesagt. Zwischen Kabarett-, Satire- und Comedyshows scheint kaum mehr Platz für das Subgenre im modernen Humorwesen. Oder muss man sagen: gab es? Neuerdings laufen im Privatfernsehen wieder Sendungen wie „Richtig witzig“ auf Sat 1 mit Hugo Egon Balder oder die „Witze-Arena“ auf RTL, bei der Markus Krebs, ein ehemaliger Baumarktleiter, gern auch in Asmussen-Tradition humorisiert.

Warum die Lust am vulgär-sexistischen Witz nach wie vor groß ist, kann Sigmund Freud postum erklären. Der Psychoanalytiker hatte sich auch mit dem Zotenreißen befasst und in seiner Abhandlung „Der Witz und seine Beziehungen zum Unbewussten“ die Spur der verborgenen Wünsche aufgenommen. „Er fand heraus, dass sich Unbewusstes in der Sprache artikuliert: im Traum, in der Fehlleistung und eben im Witz“, sagt die Literaturwissenschaftlerin Judith Kasper. „Freud ging es um das Aufblitzen des Verdrängten und um die Abfuhr von Affekten sexueller Natur. Als Traumanalyst hat er auch festgestellt, dass viele Träume irgendwie witzig sind und dass die Aggression im Witz besonders dann zum Ausdruck kommt, wenn man unter starker psychischer oder politischer Zensur leidet.“

Vor allem in der Zeit der Aufklärung Ende des 18. Jahrhunderts spielte es eine große Rolle, wie man sich eine Art von Witzigkeit aneignete. Der legendäre jüdische Witz, der in seiner Tiefe, pfiffigen Hintergründigkeit und Selbstironie quasi das Gegenstück zur deutschen Karnevals-Witzigkeit darstellt, bildete sich beispielsweise heraus, als die Glaubensstrenge allgemein bröckelte und sich auch viele Juden ein Ventil aus ihrer religiösen Vorschriftenkultur suchten. Andererseits ist der jüdische Witz ein Produkt ihrer Leidensgeschichte, da sich die Juden praktisch überall Anfeindungen gegenübersahen. 

Denen konnten sie oft nicht anders begegnen als mit bitterem, man könnte sagen Galgenhumor. „Wenn Juden über sich selbst Witze reißen, ist das aber natürlich etwas anderes, als wenn die Gesellschaft das tut“, beschreibt Judith Kasper den Unterschied zum antisemitischen Judenwitz. „Der ist nicht viel mehr als eine aggressive Äußerung. Ein gelungener Witz ist eigentlich nur der, bei dem alle Beteiligten drüber lachen konnten, das Lachen also gemeinschaftsstiftend ist.“

Lieblingswitze der Redaktion klicken, lesen, lachen

Brüllt ein Nazi einen Türken an: „Hau ab, wo du herkommst!“ Sagt der Türke: „Watt denn, nach Dortmund?“

Auf einem Bauernhof im tiefsten Bayern liegt der alte Bauer im Sterben. Er sagt zum Pfarrer: „Ich habe noch einen Wunsch, ich möchte in die SPD eintreten!“ Sagt der Pfarrer: „Aber Huberbauer, warum denn das, du warst doch Zeit deines Lebens in der CSU!“ „Ich dachte mir, lieber stirbt einer von denen!"

Drei ungeschriebene Regeln:

1.

2.

3.

Ein ereignisloser Abend in der Provinz, Udo schlurft in die Kneipe. „Hä, was ist denn das?“, fragt er. „Zum Saufen komm ich doch erst her, warum seh ich da ein weißes Pferd auf der Theke?“ Der Wirt zuckt mit den Achseln. „Na ja, wir haben doch jetzt eine Wunschfee im Keller. Magst du es auch mal probieren?“ „Klar“, entgegnet Udo prompt. Die Augen leuchten. „Aber pass auf!“, warnt der Wirt. „Die hört etwas schlecht, die ist nicht mehr die Jüngste.“ Papperlapapp, geht Udo durch den Kopf. Er sieht die Moneten und verschwindet flink im Keller.

Fünf Minuten später. Udo stampft die Treppe hoch. Es grunzt von seinem Arm, er trägt eine Melone und ein Schwein vor sich her, blickt grimmig in den Gastraum. „Was soll denn das für ein Scheiß sein? Die will mich wohl verarschen“, plärrt er. „Eine Million in Scheinen hab ich mir gewünscht, und was krieg ich? Eine Melone in Scheinen.“

Der Wirt hält sich die Hände vor den Bauch, lacht laut über die Theke. „Na wos meinst du, Udo, woher das weiße Pferd kommt?“ fragt er. „Glaubst vielleicht, ich hob mir einen meterlangen Schimmel gewünscht?“

„Ich habe gestern einen Anhalter mitgenommen. Er hat mich gefragt, ob ich keine Angst hätte, er könnte ja auch ein Serienmörder sein. Ich sagte ihm, dass es statistisch gesehen ausgeschlossen ist, dass per Zufall gleich zwei Serienmörder in einem Auto sitzen. Zack, Ruhe.“

Auf der Wiese: Schaf zum Rasenmäher: „Mäh!“

Sagt der Rasenmäher: „Du hast mir gar nichts zu befehlen!“

Gott zu Adam und Eva: Wer von euch möchte gerne im Stehen Pinkeln? Er: „Iiich! Ich!!!“ Gott: „O.K., dann bekommt sie den multiplen Orgasmus.“

1 / 8

Dass es mit dem gemeinschaftsstiftenden Lachen schnell vorbei sein kann, wenn sich die Dinge in einer Gesellschaft ändern, hat die Wende gezeigt, wo der politische Flüsterwitz nach dem Wegfall der Presse- und Meinungsunfreiheit in der DDR seine Bedeutung als Stichelei gegen „die da oben“ verlor. Lediglich eine große Lästerwelle schwappte noch durchs Beitrittsgebiet: die Wessi-Witze, mit der viele Ossis ihren Frust auf Glücksritter und drittklassige Aufbauhelfer aus dem Westen pointiert abließen. Politisch korrekt war das natürlich nicht, weil die deutsche Einheit offiziell ja als Beglückungsprojekt der freiwillig beigetretenen Ostdeutschen galt.

Aber politische Korrektheit kommt im Witz sowieso noch seltener vor als ein Geistesblitz in einem Shitstorm. „Das Unter-die-Gürtellinie-Gehen gehört halt zur Unberechenbarkeit des Witzes dazu“, so Judith Kasper. „Sprachlich bewegen sich Witze immer auch in Zweideutigkeiten. Es ist Reden auf Glatteis, man kann ausrutschen.“ Politische Korrektheit sei dagegen abgesichertes Reden, bei dem man kein Risiko auf sich nehmen wolle. Etwas drastischer drückt es der Humorkritik-Kolumnist des Satiremagazins Titanic aus. Hans Mentz, in Wahrheit ein Pseudonym für mehrere Autoren, nennt es unmöglich, „in einem Einzeiler die Rolle der Frau, die Rolle des Migranten, des Juden oder des Behinderten durchzudeklinieren“. Political Correctness und Witz sei keine funktionierende Verbindung. Ebenso wie Lachen und Niveau. „Es gibt kein niveauvolles Lachen, so wie es keinen niveauvollen Orgasmus gibt.“ Beides seien unwillkürliche Äußerungen. Wenn der Witz gut ist, müsse er einfach raus.

In dem Punkt gehen die Meinungen vermutlich auseinander. Aber auch wenn Judith Kasper weniger Zugeständnisse an den platten sexistischen Witz macht als die Herren von der Titanic, so verweist sie doch auf Grundsätzliches: Witze würden viel davon vermitteln, was in der Gesellschaft sagbar ist oder wie es um das Verhältnis zwischen den Geschlechtern wirklich bestellt ist. Letztlich sei der Witz abfälliges Reden. „Aber wenn man in den Abfalleimer schaut, erkennt man doch einiges über den Zustand der Gesellschaft.“ Dass man eine Kultur am Grad ihrer Witzigkeit messen könne, an der Leichtigkeit, mit der eine Gesellschaft Problemen begegne – das glaubt Judith Kasper durchaus. Sie lebt seit zwanzig Jahren in Italien und hat diesbezüglich manche Unterschiede zwischen Italienern und Deutschen beobachtet.

Wo die genauen Unterschiede im Witzigkeitsverständnis der Völker liegen, das haben mal britische Wissenschaftler zu ergründen versucht, wer sonst. Der Psychologie-Professor Richard Wiseman hatte vor etlichen Jahren ein „Lach-Labor“ ins Leben gerufen und zwei Millionen Menschen weltweit 40 000 Witze online bewerten lassen. Am Ende gewann ein von einem jungen englischen Psychiater eingesandter Witz, der nicht unbedingt der Oberbrüller ist, jedoch über Alters- und Geschlechtergrenzen hinweg universale Zustimmung erhielt. Er geht so: Zwei Jäger sind im Wald unterwegs, als einer von beiden zusammenbricht. Der Atem geht nicht mehr. Der andere ruft mit dem Handy den Notarzt an und keucht: „Mein Freund ist tot. Was kann ich tun?“ Antwort: „Beruhigen Sie sich. Zuerst müssen wir sicher sein, dass er wirklich tot ist.“ Daraufhin ist Stille, dann ein Schuss und die Frage: „Okay. Und nun?“

Das Umfrageergebnis zeigte auch: Es gibt nur bedingt universalen Humor. So würden die Deutschen angeblich über fast alles lachen und die Kanadier über relativ wenig. Während Briten, Iren, Australier und Neuseeländer Fans von Wortspielen seien, würden Franzosen, Dänen und Belgier surreale Witze mögen oder solche, die sich über beängstigende Dinge lustig machen: Tod, Krankheit, Eheprobleme.

Als das Magazin Reader’s Digest 2009 den besten Witz der Welt suchte, gewann ein Joke aus Schweden: Ein Einwohner aus Stockholm fährt zur Entenjagd aufs Land. Als er eine Ente sieht, zielt er und schießt. Doch der Vogel fällt auf den Hof eines Bauern, und der rückt die Beute nicht heraus. „Das ist mein Vogel“, besteht der Städter auf seinem Recht. Der Bauer schlägt vor, den Streit mit einem Tritt in den Unterleib beizulegen. „Wer weniger schreit, kriegt den Vogel.“ Der Städter ist einverstanden. Der Bauer holt aus und landet einen gewaltigen Tritt in den Weichteilen des Mannes. Der bricht zusammen und bleibt 20 Minuten am Boden liegen. Als er wieder aufstehen kann, keucht er: „Okay, jetzt bin ich dran.“ „Nee“, sagt der Bauer im Weggehen. „Hier, nehmen Sie die Ente.“