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Der tiefe Fall der Videothek

Von einst 270 Ausleihstationen in Sachsen haben 30 überlebt. Und die Schließungen gehen munter weiter.

Von Tobias Wolf
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Ist bald Geschichte: die Video-World-Filiale in Dresden-Striesen.
Ist bald Geschichte: die Video-World-Filiale in Dresden-Striesen. © Foto: Thomas Kretschel

Das Synonym für den Niedergang heißt Abverkauf. Alles muss raus, bevor die Videothek im Dresdner Stadtteil Striesen für immer schließt. „Jeder Film 3,50 Euro“ steht auf Zetteln an den DVD-Regalen. Noch bis Sonntag können Kunden die Schnäppchen kaufen. Dann ist Schluss.

Die Filiale gehört zu Video World, seit der Wende einer der größten Anbieter im Osten. Zu Spitzenzeiten verliehen über 60 Filialen Filme und Computerspiele, allein in Dresden gab es acht. Vorbei. Die Läden in Görlitz, Weißwasser, Heidenau und Freital existieren schon längst nicht mehr.

Aus dem Giganten von einst ist ein Zwerg geworden. Nach der Schließung in Dresden gibt es nur noch zehn Filialen. Eine letzte in Dresden, je eine in Potsdam, Cottbus und Hennigsdorf und sechs in Berlin, dem Hauptsitz der Firma, die alle mehr oder weniger dem Ende entgegen siechen.

Chef von Video World ist Andreas Zachrau. Er ist seit Anfang der 1980er in der Branche. 2006 wählten ihn Branchenvertreter zum Händler des Jahres. Das war zu einer Zeit, als man sich noch zu Konferenzen in feinen Hotels traf, um über die neuesten Trends zu beraten.

Alles muss raus, das Ende ist programmiert: In Dresdens vorletzter Filiale des ehemaligen Branchengiganten Video World gehen jetzt die Lichter aus.
Alles muss raus, das Ende ist programmiert: In Dresdens vorletzter Filiale des ehemaligen Branchengiganten Video World gehen jetzt die Lichter aus. © Foto: Tobias Wolf

Heute redet kaum ein Betreiber mehr über die Geschäftsentwicklung. Auch Zachrau nicht. Er sei „viel beschäftigt“, sagt eine Mitarbeiterin über Wochen hinweg bei jedem Anruf. Was soll er auch sagen zum Videothekensterben? Nur so viel: 2019 soll nach der Filiale in Dresden-Striesen wohl auch die letzte sächsische Videothek von Video World im Stadtteil Löbtau schließen.

Verantwortlich dafür ist Angela T, Geschäftsführerin von Video World Dresden. Als sie 2016 eine Filiale schloss, sagte sie, die Kunden seien zwar ausleihmüde geworden, aber: „Die Schallplatte wurde auch totgesagt, jetzt kommt sie wieder.“ Man würde T gern fragen, ob sie das immer noch so sieht, aber sie ist nicht erreichbar. In den Filialen heißt es, man solle per E-Mail Kontakt mit der Chefin aufnehmen. Es kommt keine Antwort.

Die Schließungen sind das Ende eines rasanten Niedergangs in Dresden, der die ganze Branche bundesweit trifft. Dabei hatten die Videothekenbetreiber in den letzten Jahrzehnten jeden technologischen Sprung geschafft, von der klassischen VHS-Kassette zur DVD und zur Blue-Ray-Scheibe.

Der junge Mann hinter der Theke der Dresdner Video-World-Filiale fühlt sich vielleicht ein bisschen wie ein Droschkenkutscher im aufziehenden Automobilzeitalter. Er wird ebenso wenig noch gebraucht wie die silbern glänzenden Scheiben im Regal, seit Filme über das Internet angeguckt werden können.

Kunden kommen kaum noch. „Das geht schon seit Jahren so, gucken Sie sich doch mal hier um“, sagt der Angestellte bitter und deutet auf die leeren Regalecken mit den abgewetzten Nadelfilzböden. Dann will er nichts mehr sagen. Man solle sich an die Chefin wenden, die er selbst lange nicht gesehen hat. Zuletzt hat die Filiale noch mit Paketservice und Getränkeverkauf ein bisschen dazu verdient, das Hauptgeschäft rettete das offenbar nicht.

Die einstige Goldgrube Videothek ist wirtschaftlich so gut wie am Ende. „1990 gab es fast in jeder Garage eine Videothek“, sagt Jörg Weinrich, Chef des Interessenverbands des Video- und Medienfachhandels (IVD). Geschätzt 9500 sollen es im Jahr der Wiedervereinigung gewesen sein. Im Jahr 2000 waren es dem IVD zufolge immer noch fast 4600 Videotheken, davon knapp 270 in Sachsen. 14,5 Millionen Kunden liehen damals 130 Millionen Mal Filme oder Computerspiele aus und sorgten so allein für einen Spielfilmumsatz von 341 Millionen Euro pro Jahr.

„Die Zukunft für Videos und Bewegtbilder liegt im Internet“, sagt Christian Kulick von der Bitkom-Geschäftsleitung.
„Die Zukunft für Videos und Bewegtbilder liegt im Internet“, sagt Christian Kulick von der Bitkom-Geschäftsleitung. © Foto: Bitkom

Dann schossen Automaten-Videotheken aus dem Boden. 2007 gab es fast 1000 dieser Stationen, aber nur noch rund 3200 klassische Videotheken. Zehn Jahre später ist der Markt extrem geschrumpft. Kapp 590 herkömmliche Videotheken und gerade einmal 15 Automaten kamen 2017 bundesweit auf nur noch 31 Millionen Verleihvorgänge und 81 Millionen Euro Umsatz. In Sachsen existierten 2017 noch 30 Videotheken. Es braucht keine Glaskugel, um zu ahnen, dass diese Zahl 2018 nicht mehr zu halten ist.

Der IVD macht dafür vor allem illegale Downloads von Filmen im Internet verantwortlich. „Die Ertragserwartungen sind mittelfristig nicht so toll“, räumt IVD-Chef Weinrich im SZ-Interview ein. Auch würden verstärkt Videotheken geschlossen, die vielleicht noch ein paar Jahre überleben könnten, deren Besitzer aber das Risiko langfristiger Mietverträge nicht mehr eingehen wollen.

Gleichzeitig wächst der Markt für Videos auf Abruf aus dem Internet rasant. Lagen die Gesamterlöse der Online-Anbieter Ende 2017 bei 1,1 Milliarden Euro, sollen sie sich bis 2023 auf 2,5 Milliarden Euro pro Jahr mehr als verdoppeln. Das prognostiziert das Beratungsunternehmens Goldmedia.

Vom Digitalverband Bitkom heißt es, dass inzwischen drei Viertel aller Internetnutzer ab 14 Jahren Filme, Serien, Dokumentationen oder andere Videos aus dem Internet streamen. Streaming heißt, Videos gleichzeitig empfangen und abspielen, ohne dass sie dauerhaft gespeichert werden. 37 Prozent der Internetnutzer bezahlen für Videos auf Abruf. Für jeden Fünften gehören Videos im Netz zum alltäglichen Medienkonsum.

„Die Zukunft für Videos und Bewegtbilder liegt im Internet“, sagt Christian Kulick von der Bitkom-Geschäftsleitung. Stationäre Videotheken hätten weitestgehend ausgedient. Der Online-Video-Konsum steige von Jahr zu Jahr.

Hießen die Branchenriesen früher Video World, Video Taxi oder World of Video, sind nun die meist genutzten Angebote im deutschsprachigen Raum Anbieter wie Amazon, Netflix und Maxdome. Die kommerziellen Videotheken werden angesichts des massiven technologischen Wandels wohl über kurz oder lang alle sterben. In Dresden könnten zwei Videotheken überleben, die jetzt als Verein betrieben werden und mehr auf Nischen- als Massenfilme setzen.