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Der lange Weg ins Frauenhaus

Petra Knappe hatte es schwer mit Männern. Ihr letzter Mann trieb sie in die Verzweiflung. Sie wurde sein Opfer. 

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Petra Knappe (54) heißt eigentlich anders. Sie will nicht erkannt werden. Denn noch immer verfolgt sie ihr Mann.
Petra Knappe (54) heißt eigentlich anders. Sie will nicht erkannt werden. Denn noch immer verfolgt sie ihr Mann. © Christian Juppe

Von Olaf Kittel

Kurz vor dem Termin bei der SZ verließ sie der Mut. Die Vorstellung, noch einmal ihr ganzes Leben erzählen zu müssen mit all den Wirrungen und Schicksalschlägen, war kaum zu ertragen, ließ sie nachts nicht schlafen. Noch einmal ging es ihr deshalb tagelang schlecht. Ihr Gefühl: Sag ab. Ihr Verstand: Geh hin, Courage gehört zu deinem Neuanfang.

Petra Knappe (Name geändert) ist in den 60er-Jahren in Dresden-Laubegast aufgewachsen. Die Eltern trennten sich, als sie ein kleines Mädchen war. Daheim habe es keinen Herzenskontakt gegeben, sagt sie. Zur Mutter nicht, den Vater wollte sie nicht mehr sehen, zur Oma durfte sie nicht. Als sie in die Schule kam, war es bald einsam um sie. Die Mitschüler mieden sie. „Du bist dumm!“, bekam sie zu hören. Petra begann zu rebellieren.

Als sie neun Jahre alt war, saß plötzlich ein Stiefvater am Tisch. Er versuchte es mit Strenge und straff geregeltem Familienbetrieb. Sie hatte viel im Haushalt zu helfen, durfte keine Kinder einladen, musste Geburtstagsfeiern absagen. Geschenke vom Vater und von der Oma wurden zurückgeschickt. Wenn sie die Mama um Hilfe bat, hörte sie: „Ich setze doch wegen Dir nicht meine Beziehung aufs Spiel.“ Und: „Wenn es damals schon die Pille gegeben hätte ...“

Als die Schule vorbei war, besorgte sie sich allein und ohne Eltern eine Lehrstelle, in der DDR ziemlich unüblich. Purotex nahm sie gern, bildete sie zur Textilreinigerin aus. „Die Lehre lief super. Ich dachte mir: Jetzt zeig` ich es euch!“ Noch während der Lehre wurde sie schwanger. Der Stiefvater verlangte eine Abtreibung. Sie widersetzte sich und musste daheim ausziehen. Eine Zeit lang lebte sie - 1982 - als Schwangere auf der Prager Straße, einen Koffer hatte sie im Hauptbahnhof deponiert. Tagsüber ging sie arbeiten. Manchmal nahm sie eine Freundin mit nach Hause. Bis zur Geburt durfte sie dann bei ihrem leiblichen Vater und seiner neuen Frau wohnen.

Nach der Geburt des Sohnes, ihr Freund hatte sie verlassen, erlebte sie eine Überraschung: Ihr Bruder erreichte, dass sie mit dem Kind wieder heim durfte. Und: Ihr Stiefvater entwickelte sich „zum liebsten Opa auf Erden“. Er verwöhnte den Kleinen, er half aber auch beim Berufswechsel. Sie wurde, was sie immer werden wollte: Straßenbahnfahrerin. Der Opa holte ihren Sohn aus der Krippe, wenn sie Dienst hatte. Zum ersten Mal erlebte sie in ihrer Familie, wie man mit Kindern auch umgehen kann.

Als sie ihr zweites Kind erwartete, hatte sie mit ihrem neuen Freund bereits eine eigene Wohnung. Auch diese Beziehung lief nicht. Er fing an zu trinken, wurde aggressiv. Ihr Stiefvater warf den jungen Mann aus der Wohnung. Ende der 80er-Jahre war sie mal verheiratet, die Ehe hielt nur drei Jahre. 1991 bekam sie ihr drittes Kind, auch dieser Partner war bald wieder weg. Ihre Männer schilderten sie als gefühlskalt, sie konnte es nicht nachvollziehen. Letztlich hat sie die Männer meistens selbst weggeschickt, wie auch manche Freundin in ihrem Leben. Es fällt ihr nicht nur schwer, Beziehungen zu pflegen, sie trennte sich auch immer wieder aus Angst, selbst verlassen zu werden. Mit ihren Kindern dagegen hat sie keine Probleme. „Mit Kindern und Bedürftigen kann ich sehr gut umgehen“, sagt sie selbst.

Befreiender Wutanfall

Im Jahr 1998 musste sie erstmals wegen psychischer Auffälligkeiten in eine Klinik, zehn Jahre später sogar für ein ganzes Jahr. Sie hatte Panikattacken. Der Auslöser war wohl, dass ihre Kinder erwachsen wurden und sich abzunabeln begannen. Da waren sie wieder, ihre Verlustängste. Die Ärzte gaben sich große Mühe, ihren Problemen auf den Grund zu gehen. Sie wurde in der Klinik bewusst provoziert, damit sie endlich aus sich herausgeht und ihre eigene Gefühlswelt kennenlernt. Es funktionierte, eines Tages flippte sie nach einer Provokation aus, brüllte und schlug um sich. Ärzte und Pfleger waren begeistert. Sie empfand auf einmal echte Wut (auf den Provokateur), Hass (auf ihre Mutter), aber auch Stolz, als man ihr sagte, dass sie eine hübsche Frau sei, ihren Männern hatte sie das nicht geglaubt. Zudem wurde ihr mitgeteilt, dass ein Test überdurchschnittliche Intelligenz ergeben hatte. „Ich lernte, mich zu freuen, wenn man mir was Nettes sagt.“

Nach der Entlassung fühlte sie sich körperlich fit, sie hatte eine neue Freundin gefunden, die sich sehr um sie bemühte. Sie nahm einen Job in der Gastronomie an, Straßenbahn fahren ging nicht mehr. Männer sollten eigentlich tabu sein. Aber da war einer, der warb ein halbes Jahr um sie. Er lebte getrennt, hatte auch drei Kinder und war ein liebevoller Typ. „Ich hatte ein Urvertrauen.“ Irgendwann gab sie dem Werben nach, sie suchten sich eine große Wohnung, mit Kinderzimmer, wenn mal eines der Kinder kommen würde. 2012 heirateten sie. Es lief ziemlich gut.

Dann begann ihr Mann, der eigentlich als clean galt, wieder Drogen zu nehmen. Crystal Meth. Er warf ihr vor, sie nicht zu lieben. Er las ihre Tagebücher mit der ganzen Krankengeschichte. Es wurde immer schlimmer, so sehr sie sich auch bemühte, ihn davon loszubekommen. Er kam tagelang nicht nach Hause, gab seine Arbeit auf, stahl ihr Geld für neue Drogen. Er schloss sie ein, bedrohte sie permanent. Er schlug sie nicht, aber drückte sie gegen die Wand, trat alle Türen der Wohnung ein.

Ihre Ängste kamen zurück, die Panikattacken. Ihre Kinder rieten dringend: Mutter, hau ab! Sie ging Ende 2014 ins Krankenhaus, 2015 wurde sie in der Psychiatrie weiterbehandelt. Ihr Mann zerschlug unterdessen alle Möbel und alles, was ihr persönlich gehörte, Erinnerungsstücke vor allem. Die Scherben warf er aus dem Fenster. Es tat sehr weh.

Ein neuer eigener Haushalt

Nach der Entlassung war sie arbeitslos, bezog Hartz IV, hatte kein Dach mehr über dem Kopf und saß da mit einem Berg Schulden, den ihr Mann angehäuft hatte. Zudem fing er an, sie zu stalken. Er verfolgte sie, und wenn er sie fand, brüllte er sie an. Manchmal braucht sie Stunden, um auf Umwegen zu ihrem Quartier zu gelangen. Er lässt bis heute nicht davon.

Es blieb ihr nichts anderes, als ins Frauenhaus zu flüchten, dort war sie immerhin sicher. Vier Monate blieb sie dort. Und sie fand den Weg zur Opferhilfe Sachsen. Dieser Verein, der in Dresden und weiteren Städten Beratungsstellen unterhält, hilft Opfern von Gewalt und Straftaten aller Art, kostenlos und streng vertraulich. Der Verein empfahl Frau Knappe dringend, immer wieder die Polizei zu verständigen, wenn ihr Mann ihr auflauerte, und eine Trillerpfeife zu nutzen, um auf sich aufmerksam zu machen. Die Opferhilfe stand ihr auch sonst mit Rat und Tat zur Seite, begleitete sie auf Ämter, bereitete sie auf einen möglichen Prozess vor. „Sie haben mich gut wieder aufgebaut.“

Seither hat Petra Knappe gelernt, Lichtblicke für ein neues Leben zu sammeln. Sie bezog eine kleine Wohnung, praktisch mit nichts. Die Opferhilfe vermittelte eine Spende der Leser der Sächsischen Zeitung. „700 Euro! Für mich wahnsinnig viel Geld. Ich bin so dankbar für die Hilfe!“ Sie hat davon Badmöbel gekauft, Töpfe, einen Fernseher, teilweise gebraucht. Nach und nach baut sie sich wieder einen eigenen Haushalt auf. Eine neue kesse Frisur hat sie sich zugelegt, gut fürs Selbstbewusstsein. Schließlich begann sie eine neue Ausbildung. Sie will künftig Demenzkranke pflegen. Ist das nicht ein zu schwerer Beruf? „Ich will jetzt etwas zurückgeben.“ Nur Beziehungen mit Männern will sie nie wieder. „Mein Vorrat an Vertrauen ist aufgebraucht.“

Petra Knappe ist froh, dass sie ihre Geschichte erzählt hat, jetzt ist der Druck weg. Zum Schluss kommt aber noch ein überraschender Satz, aus vollem Herzen:

„Ich bin jetzt glücklich.“