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„Der Fichtenwald verschwindet“

Mehr Pilze, mehr Vögel, mehr Insekten – Forstwissenschaftler Sven Wagner schildert, was der Waldumbau bewirkt.

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Der reine Fichtenwald, störanfällig für Krankheiten und Umwelteinflüsse, ist ein Auslaufmodell. Mit dem Waldumbau, also der Anpflanzung unter anderem von Buchen und Tannen, werden die Wälder in der Region stabiler und artenreicher. Dass bei Stürmen reihen
Der reine Fichtenwald, störanfällig für Krankheiten und Umwelteinflüsse, ist ein Auslaufmodell. Mit dem Waldumbau, also der Anpflanzung unter anderem von Buchen und Tannen, werden die Wälder in der Region stabiler und artenreicher. Dass bei Stürmen reihen © Karl-Ludwig Oberthür

Das Krisengebiet beginnt hinter Tharandt und zieht sich bis zum Kamm das Osterzgebirges hinauf. Erst kamen Herbst- und Winterstürme und fällten reihenweise Bäume. Dem folgten ein Hitzesommer und mit ihm die Borkenkäfer. Die Förster können seit Monaten ihren Wald nicht mehr nach Plan bewirtschaften, sondern nur noch den immer neuen Entwicklungen hinterherrennen. Die Ursache ist aber nicht ausschließlich in einigen Wetterkapriolen zu suchen. Viel schwerer wiegt, dass der natürlich gewachsene Wald über Jahrhunderte zu Fichtenplantagen umgeformt wurde. Erst nach der Wende begann in Sachsen ein Waldumbauprogramm, das aus dem anfälligen Mittelgebirgsnadelwald wieder einen gesunden Mischwald machen soll. Professor Sven Wagner lehrt in Tharandt an der Fakultät für Forstwissenschaften der Technischen Universität Dresden. Er ist Experte für Waldbau und berichtet, welche Entwicklungen mit dem Waldumbau einhergehen.

Herr Wagner, Sie kamen vor 20 Jahren an die Fakultät nach Tharandt. Ist der Wald in der Region heute anders als damals?

Ja, auf jeden Fall. Es ist in diesen Jahren gerade im Osterzgebirge und seinen Ausläufern ganz viel Geld in den Waldumbau geflossen. Heute sind diese Wälder vielfältiger als damals. Schauen Sie nur im Herbst, welche Farbenpracht die Wälder wieder entwickeln. Es ist eine große Freude, sich das anzusehen. Der monotone Fichtenwald verschwindet, an seine Stelle tritt ganz langsam ein für die Region typischer Mischwald mit den Hauptarten Buche und Weißtanne. Darin hat natürlich auch die Fichte ihren Platz, aber eben nicht mehr in den Mengen wie in der Vergangenheit.

Was gab den Ausschlag, den Waldumbau zu beginnen?

Das Waldsterben hatte in den Achtzigerjahren hohe Ausmaße erreicht, im damaligen Westen genauso wie im Osten. Es betraf das Erzgebirge wie das Fichtelgebirge oder den Harz. Die reinen Fichtenwälder waren instabil und somit anfällig für Krankheiten, Schädlinge und Umwelteinflüsse geworden.

Was hat denn der übermäßige Anbau von Fichten mit den Wäldern gemacht?

Zunächst möchte ich zur Rettung der Fichte sagen, dass sie ein standorttypischer Baum für die Hochlagen der Mittelgebirge ab etwa 800 Meter sowie für die Hochgebirge ist. Dort besiedelt sie in Europa große zusammenhängende Flächen. Allerdings hat sie einige Eigenschaften, die sich negativ auf die Böden auswirken. Sie wurzelt sehr flach und nutzt dadurch den Boden nicht vollständig. Zudem ist ihr Nadelstreu vergleichsweise arm an Nährstoffen. Das führt zu einer Versauerung der Böden. Als Hauptbaumart ist sie daher unterhalb der 800 Meter weniger geeignet.

Professor Dr. Sven Wagner ist an der TU Dresden Experte für Waldbau.
Professor Dr. Sven Wagner ist an der TU Dresden Experte für Waldbau. © Karl-Ludwig Oberthür

Was bewirkt die Pflanzung von Buchen und Tannen anstelle von Fichten?

Diese beiden Baumarten durchwurzeln den Boden besser. Ihr Laub und die Nadeln können auch besser verwertet und zersetzt werden. Dadurch verändert sich die Qualität des Humus‘ zum Positiven. Es entstehen mehr Nährstoffe – vor allem Kalzium und Magnesium – , die in den Boden transportiert werden und dann den Bäumen wieder zur Verfügung stehen. Die Kreisläufe im Mischwald beschleunigen sich im Gegensatz zum reinen Fichtenwald. Und etwas Wichtiges im Hinblick auf den Klimawandel passiert: Im Fichtenwald entsteht unter den Bäumen eine dicke Nadeldecke. In dieser stecken Unmengen an Kohlenstoff, der sozusagen einfach auf dem Boden liegt und bei der Zersetzung in die Atmosphäre gelangt. Im Mischwald wird dieser Kohlenstoff in den Boden eingearbeitet und dort gespeichert.

Welche Entwicklungen sind mit dem Waldumbau Pflanzen, Pilze und Tiere betreffend noch zu beobachten?

Mehr Baumarten locken mehr Organismen an. Bei Pilzen zum Beispiel ist die Veränderung sehr auffällig. Je gemischter ein Wald ist, desto größer ist die Vielfalt bei den Pilzen. Da gibt es sichtbare Veränderungen. Nicht ganz so auffällig ist die Veränderung bei den Bodenpflanzen, also bei den Gräsern zum Beispiel. Die Tierwelt dagegen profitiert eindeutig vom Waldumbau. Ich meine da nicht mal so sehr die großen Säugetierarten. Aber die Vielfalt an Insekten nimmt in artenreichen Wäldern rapide zu. Ebenso brüten im artenreichen Mischwald mehr Vögel. Ihnen kommt zugute, dass die Förster den Wald nicht gleichmäßig umbauen.

Wie meinen Sie das?

Der Waldumbau erfolgt in vielen kleinen Schritten. Es wird in der Regel kein Kahlschlag betrieben und dann aufgeforstet. Vielmehr entnehmen die Förster von den Flächen einzelne Altbäume und pflanzen Buchen und Tannen nach. Und ein paar Jahre später wieder. So entstehen altersungleiche Wälder – also nicht nur eine Mischung der Arten, sondern auch alte Bäume neben jüngeren, mittelalten und ganz jungen Bäumen. Das ist attraktiv für viele Tierarten. Es gibt beispielsweise Vögel, die brüten eher in geringer Höhe und solche, die sehr große, alte Bäume bevorzugen. Ein mehrschichtiger Wald wird deshalb von viel mehr Vögeln besiedelt.

Und der Wald wird auch gesünder.

Wir Forstwissenschaftler sagen dazu: stabiler. Das System Wald ist nicht mehr so stör- und krankheitsanfällig. Stürme oder Schädlinge können einem Mischwald nicht so viel anhaben wie einem Fichtenwald. Und darum geht es beim Waldumbau letztendlich. In Zukunft werden wir auch feststellen, dass sich der Waldumbau positiv auf den Wasserhaushalt auswirkt. Denn die Böden von Mischwäldern lassen besonders im Winter, wenn das dichte Laubdach verschwunden ist, mehr Wasser einsickern und speichern es dort. Ganz langsam gelangt dieses Sickerwasser dann in Bäche, Flüsse, Talsperren. In reinen Fichtenwäldern hingegen bleibt das Wasser größtenteils an den Nadeln hängen und verdunstet von dort wieder. Fichtenwälder haben daher trockenere Böden.

Was kommt nach dem Waldumbau?

Das wird eine andere Generation entscheiden. In 50, 80 oder 100 Jahren. Fakt ist, dass wir mit dem Waldumbau Forstgebiete schaffen, die für die Bewirtschaftung mehr Möglichkeiten bieten. Es wächst eine größere Auswahl an Holzarten unterschiedlichen Alters. Und der Wald wird schöner. Am meisten fällt das übrigens unseren ausländischen Studenten auf, die aus tropischen Klimazonen kommen, wo es keinen Jahreszeitenwechsel gibt. Wenn ich mit denen im Herbst in den Wald gehe, dann sind die so begeistert und überrascht von den Farben und machen hunderte Fotos.

Das Interview führte Annett Heyse.