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Asterix erobert Dresden

Mit den Augen von Kindern lässt sich Dynamos Position im Profifußball besser verstehen – weiß jetzt auch Sportchef Minge und verteilt Zaubertrank.

Von Tino Meyer
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Der Traum von der Bundesliga und dem 100. Europapokalspiel der Vereinsgeschichte lebt. Voraussetzung dafür ist für Sportchef Ralf Minge der Zusammenhalt.
Der Traum von der Bundesliga und dem 100. Europapokalspiel der Vereinsgeschichte lebt. Voraussetzung dafür ist für Sportchef Ralf Minge der Zusammenhalt. © Ronald Bonß

Köln wirkt nach, auch mit einer Woche Abstand noch. 1:8 verliert man schließlich nicht alle Tage, selbst Dynamo Dresden ist das in seiner ereignisreichen Vereinsgeschichte zuvor nie passiert. Wie außergewöhnlich das Unerklärliche ist, hat Ralf Minge danach auf besondere Weise feststellen müssen. Einen plausiblen Grund für das Debakel konnte der Sportgeschäftsführer zumindest seinem Enkel nicht nennen.

Minge erzählt die kleine Anekdote am Ende seines Berichts bei der Mitgliederversammlung am Samstag, nachdem er zuvor ein Jahr zusammengefasst hat, in dem Dynamo nur knapp den Abstieg vermeiden konnte, in dem Trainer Uwe Neuhaus entlassen wurde, in dem nach zweieinhalb Spielzeiten permanenten sportlichen Aufschwungs erstmals Stagnation zu verzeichnen war. Und nun also dieses 1:8 in Köln, was offenbar nicht nur Verantwortliche wie Fans weiter umtreibt.

Auch Minges Enkel, selbst Fußballer, hat wissen wollen, wie so was geht – und die vermeintlich logischen Antworten von Opa Ralf einfach ignoriert. Das dreimal so hohe Budget der Kölner, die in der Vorsaison noch im Europapokal spielten, die Dramaturgie der Partie mit den ersten drei Gegentoren zu ungünstigen Zeitpunkten, ... Hat den Steppke alles nicht interessiert.

Opa Ralfs Botschaft: Wir gegen die!

„Nein, Opa“, sagt er stattdessen, „wenn das so eindeutig ist, müsstet ihr das eigentlich machen wie Asterix. Ihr braucht den Zaubertrank, um solche Sachen zu schaffen.“

Die Stille im Saal löst sich. „Stellt sich natürlich die Frage, was ist unser Zaubertrank“, fragt Minge in den Raum, und als er das bildlich untermalt, tobt die Masse. Ein Landkartenausschnitt von Frankreich, darauf durch eine Lupe zu sehen das kleine Gallien – gekennzeichnet mit dem Dynamo-Logo, umgeben von einem Zaun und umstellt von übermächtigen Gegnern aus München, Gelsenkirchen, Mönchengladbach und Köln natürlich. Kurzum: Dynamos Lage im Profifußball.

Wir gegen die! So wie in dem Comic die Gallier mit Asterix an der Spitze gegen die scheinbar unschlagbaren Römer. Die Botschaft muss Minge nicht mehr erklären, die Aussage des Bildes versteht jeder. Und trotzdem wird der Sportchef noch emotionaler, redet lauter, eindringlicher. „Was unser Zaubertrank ist? Die Kohle nicht“, betont er. Den nächsten Schritt, sagt Minge, spricht vom Bundesliga-Aufstieg und beschwört die knapp tausend anwesenden Mitglieder geradezu, werde Dynamo nicht übers Geld regeln können. „Aber wir können innovativ sein, unsere Kompetenzen erweitern, mit einer hohen Identifikation arbeiten“, meint der 58-Jährige, der bei Dynamo zugleich Maskottchen und Identifikationsfigur in einem ist, und setzt noch einen drauf: „Aber was unser eigentlicher Zaubertrank ist: Unser Zusammenhalt, den wir in den letzten Jahren gelebt haben, in denen Sachen möglich geworden sind, die man nicht für möglich gehalten hat.“

Die finanzielle Entschuldung genauso wie Rückkehr und Etablierung in der zweiten Liga nach dem traumatischen Abstieg im Mai 2014 seien ein Gemeinschaftswerk. Laut Minge befindet sich der Verein nun allerdings erneut in einer sensiblen Phase, und er meint das weniger aufs Sportliche bezogen. Vielmehr geht es ihm um die strukturelle Entwicklung – wohlwissend, dass die Mitglieder solchen Themen besonders argwöhnisch gegenüberstehen.

Und natürlich ist Minge bekannt, dass ohne die Zustimmung der Mitglieder bei Dynamo nichts geht. So steht es in der Satzung. Also reicht der Sportgeschäftsführer die Verantwortung weiter. „Ihr als höchstes Gremium des Vereins müsst jetzt auf ein paar Fragen antworten“, sagt er. Bei einem Jahresumsatz von 30,5 Millionen Euro – auch das hat es in der Vereinsgeschichte noch nie gegeben – müssen unternehmerische Grundsätze gelten.

Doch wie verträgt sich das mit dem Anspruch, ein von inzwischen 22 300 Mitgliedern geführter Klub zu sein mit Vereinswerten und -normen? Wie passt die Vergangenheit dazu, die gute alte Zeit? „Ich sehe da keinen Konflikt. Wir müssen es ganz einfach in irgendeiner Form zusammenfügen. Es ist konvertibel“, betont Minge und bezeichnet die Tradition als „unsere DNA. Unsere Erfolge, unsere Geschichte, unser Zusammenhalt – wir tun gut daran, das mit der nötigen Intensität zu pflegen und zu schützen.“ Den Anforderungen der Moderne aber, verdeutlicht Minge, dürfe und könne sich Dynamo nicht verschließen, so kritisch man die Gesamtentwicklung auch sehe. „Kommerzialisierung, Internationalisierung, Digitalisierung, noch eine Sierung. Alles Schlagwörter“, sagt Minge.

Sollte einer der knapp tausend Anwesenden gezweifelt haben, Minge hat spätestens jetzt alle auf seine Seite gezogen. Die danach folgenden, durchaus brisanten Tagesordnungspunkte werden in ungeahnter Geschlossenheit befürwortet.

Ehrenspielführer-Streit ist beendet

Dass der bereits im Bau befindliche neue Trainingskomplex im Sportpark Ostra statt 15,4 Millionen Euro mindestens vier Millionen mehr kostet, durch weitere Preisanpassungen womöglich sogar 22,35 Millionen Euro – kein Problem für die Mitglieder. Und auch die Ehrenspielführer-Debatte ist mit einem Winkelzug beendet.

Nachdem Eduard Geyer aufgrund seiner Stasi-Tätigkeit auf den Titel vor anderthalb Wochen freiwillig verzichtet hat, war die Grundlage bereits geschaffen. In Folge einer Satzungsfehlinterpretation, wonach Ehrenspielführer nicht wie bisher geschehen vom Präsidium, sondern von der Mitgliederversammlung ernannt werden dürfen, lies Interimspräsident Holger Scholze über die acht verbliebenen Kandidaten abstimmen. Bei 23 Gegenstimmen sind Dieter Riedel, Hansi Kreische, Klaus Sammer, Reinhard Häfner, Dixie Dörner, Wolfgang Oeser, Hartmut Schade und Ulf Kirsten als Ehrenspielführer bestätigt worden.

Minge registriert das Votum äußerlich regungslos, fühlt sich in seinem Ansinnen jedoch bestätigt, und er sagt: „Wir gehen unseren Weg, und zwar gemeinsam. Wir sind das gallische Dorf. Die Zukunft hängt immer davon ab, was wir heute tun.“ Das gibt donnernden Applaus, auch wenn zumindest der letzte Satz mit Asterix nichts zu tun hat, der stammt von Gandhi. Zufrieden ist Minge nach vier Stunden Mitgliederversammlung: „Alles sehr zielführend.“

Was so ein Zaubertrank doch bewirken kann, seinem Enkel sei dank.